Bombenerfolg nicht auszuschließen

Senat will im Großversuch neuartiges Thermoselectverfahren zur Müllverbrennung in der Nähe von Wohngebieten testen. Es gibt aber Gutachten, die vor der neuen, unausgereiften Technologie warnen  ■ Von Kathi Seefeld

Bis auf den heutigen Tag erwägt der Senat die Errichtung von mindestens drei neuen Müllverbrennungsanlagen in Berlin – bevorzugt auf der Basis des Thermoselectverfahrens, um ab dem Jahr 2005 das Müllproblem der Stadt in den Griff zu bekommen. Thermoselect, das neuartige Verfahren, mit dem dann unter anderem in der Neuköllner Gradestraße Siedlungsmüll verbrannt werden soll, ist aber unausgereift. „Eine großtechnische Realisierung kann daher mit technischen Risiken verbunden sein.“

Zu dieser Einschätzung kam jetzt eine Bund/Länder-Arbeitsgruppe. Im Bericht zu den „Neuen Thermischen Behandlungsverfahren“ heißt es, daß die bislang einzige Müllverbrennungsanlage dieser Art in Fondotoce/Italien „einen ausgeprägten Versuchscharakter“ habe. Die Bund/Länder-Arbeitsgruppe stützte sich in ihrem Fazit unter anderem auf ein Gutachten des TÜV-Umwelt Südwest/Stuttgart und den Meßbericht des Rheinisch-Westfälischen TÜV/Essen.

Das Gutachten spricht außerdem von einem angemessenen Zeitrahmen, der notwendig sein wird, um das Langzeitverhalten der Anlage hinsichtlich Prozeßstabilität, Massen- und Energiebilanz sowie Umweltauswirkungen zu untersuchen. An der Demonstrationsanlage, so die Bund/ Länder-Arbeitsgruppe, müßten „Optimierungs-, Ertüchtigungs- und Nachrüstmaßnahmen“ durchgeführt werden, damit ein Dauerbetrieb erfolgen könne. Erst unter günstigen Rahmenbedingungen – „vor allem wenn die Entsorgungssicherheit auch durch andere Entsorgungsmöglichkeiten gewährleistet ist“ – erscheine der Bau einer großtechnischen Demonstrationsanlage sinnvoll.

Berlin will so lange nicht warten. Obwohl die Einschätzung der Bund/Länder-Arbeitsgruppe bereits seit Anfang Juni bekannt ist und laut Aussagen des Berliner Abteilungsleiters für Immissionsschutz und Abfall, Wolfgang Bergfelder, auch ein Mitarbeiter der Senatsverwaltung in der Arbeitsgruppe tätig war, denkt Umweltsenator Volker Hassemer nicht daran, die Entsorgungssicherheit auch auf anderem Wege zu gewährleisten.

Vor einem Monat äußerte Hassemers Staatssekretär Lutz Wicke, daß künftig Thermoselect und das ebenfalls noch recht neue Schwel- Brenn-Verfahren großtechnisch erprobt werden sollen. Als geeignete Standorte wurden die Neuköllner Gradestraße, Klingenberg am Blockdammweg, Lindenhof im Pankower Stadteil Buch und die Marzahner Straße in Hohenschönhausen genannt.

„Verantwortungslos“ nennt Siegfried Rumbaum, Mitglied des Britzer Umweltforums, das ehrgeizige Vorhaben. Die Verbrennung oder Vergasung mit Hilfe von reinem Sauerstoff kann im Störungsfall unter Umständen mit „Explosions- oder gar Detonationsgefahren“ verbunden sein. Bombige Aussichten, so Rumbaum, etwa für die in unmittelbarer Nachbarschaft der Gradestraße geplante Schule im Koppelweg oder auch für die künftigen Bewohner der nahen Wohnbauten.

Für Abteilungsleiter Wolfgang Bergfelder liegen Entscheidungen hinsichtlich der Technologie und des Standortes noch „ein ganzes Stück weit weg“. „Wir haben nie davon gesprochen, daß wir die ab 2005 anstehenden Entsorgungsaufgaben nur mit einer Technologie erfüllen wollen.“ Das gesamte Genehmigungsverfahren für die Gradestraße gehe mit einer derart kritischen Umweltverträglichkeitsprüfung einher, „für den Träger des Vorhabens ist da manchmal schon die Schmerzgrenze erreicht“.

Dennoch, so Bergfelder, wolle sich der Senat, „wenn wir Fehler gemacht haben“, auch korrigieren. Das Gutachten der Bund/Länder- Arbeitsgruppe sei allen Betroffenen zugänglich gemacht worden. „Ängste werden wir vermutlich nicht abbauen können, aber den Vorwurf, es würde etwas geheim beschlossen oder entschieden, wollen wir gar nicht erst aufkommen lassen.“

Zu einem weiteren Austausch der Argumente, so wie es im Rahmen einer vom Senat initiierten Konfliktvermittlung gedacht war, wird es nun wie geplant nicht mehr kommen. Die Vertreter des Britzer Umweltforums und anderer Umweltinitiativen sahen keine Basis mehr für die Fortführung des Mediationsverfahrens. „Für uns war klar, daß ein runder Tisch nur dann sinnvoll sein kann, wenn es substantiell auch etwas zu verhandeln gibt, zum Beispiel über die Standortfrage, die Verfahrenstechnik und Müllvermeidungskonzepte“, so Heinz Steireif vom Britzer Umweltforum.

Da die „Träger des Vorhabens“, die BSR und die Potsdamer Umwelt Engineering Consult GmbH (UEC), eine gemeinsame Tochter der ALBA AG & Co. KG und der Krone AG, nicht bereit waren, mit ihrem Antrag auf Genehmigung der Anlage bis zum Abschluß des Mediationsverfahrens zu warten, sei ein Fortgang der Gespräche zwecklos. „Die Mediation hat lediglich der Feststellung des Protestes gedient. Eine Farce, ohne umweltpolitische Relevanz, die erhebliche Steuergelder verschlingt.“

Am 20. September, 19 Uhr, lädt das Britzer Umweltforum zum 2. Britzer Bürgertreffen in die Dorfkirche, Fulhamer Allee 53, zur Diskussion unter dem Motto „Neukölln – Der Mülleimer Berlins?“ ein.