: Etwas Nebliges wäre gut
Die bange Frage zur finanziellen Lage: Worüber bloß schreiben? Orientierungs- versuche eines freien Autors am Ende der Sommerferien ■ Von Oliver Schmolke
Die auf der Rückreise beschworene Freude, wieder daheim sein zu können, endet mit dem Öffnen der Post. Das liegt in selteneren Fällen an jenen Ansichtskarten, die treuherzige Halbfreunde aus reizarmen Urlaubsdomizilen mit mehr oder weniger sprachlicher Souveränität schreiben und die uns abwinken lassen. Überwiegend sind farblose Sendungen von Zuhausgebliebenen mächtiger. Wer mit Sicherheit nicht verreist, sind Kundenbetreuer der Banken, denen wir notgedrungen trauen müssen, Rechnungsversendestellen der Telekom, die Genossenschaft, die den Mietzins unserer Ostwohnung erhöht hat, die Kassierer diverser Vereine, denen wir uns im Überschwang sozialer Ergriffenheit angeschlossen haben. Jetzt liegt alles auf dem Küchentisch ausgebreitet und vermiest den Geschmack des ersten nach Hausart gefilterten Kaffees, der zwar schlechter als die noch jüngst genossene iberische con-leche- Version, aber billiger und vertrauter ist. Was tun? Überblick gewinnen. Schulden addieren. Zwei der fünf Zeitungsabonnements kündigen. Ausgabendisziplin.
Das zyklische Elend der Urlaubsheimkehr ist mit dem freudigen Leichtsinn verwandt, mit dem wir abzureisen pflegen. Beide Stimmungen sind jeweils aufeinander angewiesen. Denn hätten wir uns solide darum bemüht, vor der Sommerfrische den Terminkalender zu durchforsten, alle ausstehenden Verbindlichkeiten zu überblicken und die Einnahmen zu notieren, um aus der Differenz einen Anhaltspunkt für die Reisekasse zu gewinnen, hätten wir dann dieses Kontingent eisern eingehalten: wir wären nachher nur mäßig vergriest, weil wir eben auch vorher schon vergriest waren.
Innerhalb der ersten Rückkehrminuten also ist er verweht, der auf salzigem Meereswind des Südens reitende Duft eines langsameren und leichteren Lebens, das ich stoisch zu führen mir vorgenommen hatte; und das Berliner Wetter legt den spröden Gedanken nahe, die Heizkosten für einen osteuropäischen Winter zu kalkulieren. Angesichts eines vierstelligen Soll- Betrages befindet man sich jenseits aller Phantasien von Lebenskunst. Das heißt: Es muß Geld her. Die immer noch süßlich gestimmte Frau ist zu langsam für den Klimawechsel und antwortet: „Schreib doch endlich den Roman, für den du die ganze Zeit Überschriften und erste Sätze gesammelt hast.“
Ein Roman! Ein Roman stünde im Range eines Kunstwerkes allererster Güte, für dessen dicht verwobenes Personenspiel ein Sprachenkonzert zu komponieren wäre – ein Schaffensakt, der aber in jeder Hinsicht einen sorgenfreien Tagesablauf voraussetzte. Lotteriegewinn, hieße die Lösung: 10.000 Mark monatlich bis ans Lebensende. Den Pott zu knacken, wäre wahrscheinlich einfacher, als hinterher einen Verlag zu finden.
„Nun schwächel man hier nicht rum!“ sagt Lupo am Telefon und hat recht. Der hat früh erkannt, wo dem Frosch die Locken hängen. Zu Mauerzeiten hat er russischen Kaviar in den Berliner Westen verbracht, das dort befindliche Edel- Kaufhaus KaDeWe unterboten und prächtig kassiert. Als sich die ökonomische Ödnis ausbreitete, ist er nach Hamburg gegangen, um Online-Netze zu vermarkten. Mittlerweile kauft er Häuser auf. Sein Job ist ein Schleudersitz. „Kann dich hoch hinaufschießen“, sagt er und rät mir, mal richtig Kasse zu machen. „Bloß keine Soziologie! Schreib was Erotisches.“
Erster Arbeitstag, Anruf in der Redaktion. Das mag ich am Metier, die klare Verhandlungssprache. Der Redakteur, der mir vor drei Wochen „analytische Kompetenz“ bescheinigte und mehr Platz „durchzuboxen“ versprach, hat keine Zeit, keine Themen und sieht keine Hoffnung für mich: „Den Schiet will doch jetzt keiner lesen, nach den Ferien. Die Leute haben genug Frust“, sagt er und hat recht. Anruf bei Lupo zwecks Beratung: „Du mußt deinen Marktwert testen. Wenn deine Jammerstücke nichts sind, mach was anderes.“ Was fällt mir dazu ein? Anders schreiben und erotisch, um auf dem Markt zu bestehen. Ich mache eine Liste.
Ganz oben Günter Grass, das Topthema. Denn was ist schöner zu begaffen als ein Großmeister, von dem man verkünden kann, er habe abgekackt? Man könnte jetzt antizyklisch ein Jubelstück über sein neues Buch liefern, das man (wie dieser Politredakteur der Zeit) nicht mal zu lesen braucht, um den Danziger als standhaften Mann des ernsten Ostens (Symbol) zu feiern und die Kritiker als westweich gefütterte, eruktierende Türsitzer schwachbrüstiger Salonliteratur zu beschimpfen. Ein schamlos hingeluderter Prenzelbergtext, der nichts fürchtet.
Nächstes Thema die Plakatierungen des Berliner Ensembles. BRECHT/ MÜLLER/ SHAKESPEARE. Man könnte aller sich aufdrängenden Ironie widerstehen und den Beweis führen, daß Herr Müller tatsächlich der „Grönoledra“ ist, als den er sich sieht. Erfundene Einblicke ins Privatleben müßten zeigen, daß nicht etwa Probleme der Potenz ein titulatorisches Substitut verlangen, sondern umgekehrt das Fehlen jener den Anspruch des Mannes beglaubigen, in der Tat Größter-noch-lebender-Dramatiker zu sein. Jede auch nur kursorische Vertiefung in seine Produktion wäre störend, da inhaltlich. Ausnahme im Titel erlaubt: „Die Müller-Maschine“.
Dritte Sache könnte diejenige des Erzbischofs Dyba sein, des Fuldaer Aufklärers, der mit allen Illusionen aufräumen will, in Berlin, Hamburg, Bremen, ja überhaupt irgendwo im ganzen Osten gebe es abendländische Christen. „Well done, Mr. Dyba“, ließe sich eine heidnische Replik einleiten, die ganz diesseitig, nämlich arbeitsmarkttheoretisch argumentiert, indem der Pfaffe gelobt wird, trockengelegten Satirikern neuen Stoff zu geben. Schließlich müßte aber doch was Saftiges hinein. Als Dank wäre eine Einladung auszusprechen, die dem Kirchenmann eine echte Ostorgie im Literatenmilieu verspricht.
Anruf beim Redakteur, der jetzt nach 16 Uhr seine Sitzungen überstanden hat und freundlicher wird. Ich könne doch eine Rezension machen. Ob ich von diesem famosen Roman Nalim Arednuks gehört hätte, „Tiekmasgnals Eid“. Da müsse jemand ran, der die politischen Schwingungen und heimatlich-melancholischen Tiefen der neuen Osteuropäer auslotet. Ich reagiere entsetzt, mein konzeptionelles Tagwerk vor die Hunde gehen zu sehen. In dieser Zeit dürfe man nicht zuviel Tempo geben, die Leute hingen noch ihren Reiseerinnerungen nach. Da könnte man etwas Nebliges gut bringen. Ich ächze, aber der Redakteur hat recht. Der Markt will es. Ich rezensiere auf melancholisch.
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