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Es ist eine trostlose Szene

Mehr als 100.000 Menschen sind in der Region um Banja Luka auf der Flucht. Die Vorratslager sind leer, Behörden und Hilfsorganisationen überfordert. Das Schicksal der Flüchtlinge ist ungewiß  ■ Aus Banja Luka Francesc Relea

Die ganze Stadt Banja Luka ist ein einziges Flüchtlingslager. Überall sieht man Pferde, Maultiere und Rinder die Rasenflächen niedertrampeln. Schulen, Kindergärten, Einkaufszentren und die Tabakfabrik sind randvoll mit Flüchtlingen. Versprengte Gruppen von Soldaten, schmutzig und unterlegen, wandeln wie Marsmenschen umher. In diesen Tagen gibt es in der Stadt mehr Soldaten als an der Front.

In einem der Aufnahmelager läuft ein junger Soldat mit seinem Gewehr in der Hand erschöpft durch die Gegend. Zwei ältere Frauen umarmen und küssen ihn. Es ist eine trostlose Szene. Der Soldat ist aus Jajce gekommen, wo die Serben am Mittwoch den Rückzug angetreten hatten. Viele Soldaten, Gewehr und Rucksack auf dem Rücken, haben sich in die endlosen Schlangen eingereiht.

An der Landstraße strecken sich alte Frauen auf Decken oder Koffern aus, ihr Blick geht ins Leere. Die Pferde und Maultiere, die die Karren ziehen, müssen anhalten und sich ausruhen. Frauen mit Kleinkindern im Arm. Kinder, die zwischen den Wagen herumtollen. Lastwagen des UN-Hochkommissariats für Flüchtlinge (UNHCR), die zwischen den Flüchtlingsgruppen herumfahren, um die Bedürftigen zu versorgen. Es sind Bilder eines neuen Exodus, kaum einen Monat nach den 150.000, die aus der Krajina geflüchtet waren. Banja Luka hat seine Türen dichtgemacht.

Auf der Straße von Banja Luka nach Prijedor bewegen sich die Flüchtlinge in beiden Richtungen.

Kennzeichen aus Jajce, Drvar, Bihać, Petrovac

Einige haben Zeit gehabt, den Kühlschrank, den Herd oder die Waschmaschine mitzunehmen. An der Abzweigung nach Omarska ist die kleine Landstraße voll mit Flüchtlingen. Viele Frauen zu Fuß, Männer auf Fahrrädern und Traktoren und Lieferwagen. Von seinem Traktor herunter erzählt Zdravko Mileković, ein Lehrer, daß er am Samstag, als er mit seiner Frau und seiner Mutter aus Drvar floh, noch die kroatischen Soldaten in die Stadt kommen sah – sie setzten sein Haus in Brand.

Omarska ist weltweit bekannt geworden. Zu Beginn des Krieges befand sich hier eines der brutalsten serbischen Konzentrationslager. Bislang trafen jetzt rund 2.500 serbische Flüchtlinge in der Stadt ein. Alte, Frauen und Kinder werden in den Klassenräumen der Schule untergebracht. Unterricht findet längst nicht mehr statt. Draußen bleiben die meisten Flüchtlinge bei ihren Karren. Sie wollen nicht reden.

Die örtlichen Behörden in Omarska, die eine Art Honoratioren-Komitee bilden, erklären, daß sie in den kommenden Tagen mit der Ankunft weiterer Flüchtlinge rechnen. Sie bedauern, keine Mittel mehr zu ihrer Versorgung zu haben. Die Menschen kämen völlig erschöpft an, einige müßten sofort ins Krankenhaus – aber in Omarska gibt es nur zwei Ärzte. „Nur das Rote Kreuz hat uns Hilfsgüter überlassen, aber viel zuwenig“, sagt ein Behördenvertreter. Die größte Hilfe kommt von den Einwohnern selbst, die Lebensmittel zur Verfügung stellen und Flüchtlinge aufnehmen. „Nach dem letzten Flüchtlingstreck, der hier im August (aus der Krajina) durchkam, waren sämtliche Reserven aufgebraucht“, sagt einer der Gemeindevertreter. „Am dringendsten brauchen wir Lebensmittel, Decken, Medikamente und Desinfektionsmittel.“

Die Flüchtlingswelle in der Region um Banja Luka begann am 10. und 11. September, erklärt Maria Teresa Countinho vom UNHCR- Büro in Banja Luka. Im Bezirk Prijedor sind 15 Aufnahmelager errichtet worden, weitere acht in Sanski Most, vier in Banja Luka und drei in der Tiefebene von Majaca. Etwa 10.000 Vertriebene bevölkern die Landstraßen auf der Suche nach einem Dach über dem Kopf. Teresa Countinho unterstreicht, daß die UNHCR-Mission von den Nato-Bombardierungen betroffen ist: Seither lassen die bosnischen Serben aus Sicherheitsgründen praktisch keinen Konvoi mit Hilfsgütern mehr durch – und so sind die Lagerhallen in Banja Luka gerade jetzt fast leer, wo Hilfe am dringendsten gebraucht wird.

Slobodan Ecimović, der Verantwortliche für die Flüchtlinge in Banja Luka, zählt die Probleme auf: „Durch die Nato-Luftangriffe sind wir in diesem schwierigen Moment ohne Verbindung zum Rest der Welt. Außerdem leiden wir unter dem UN-Embargo, und sogar die Lagerhallen von Organisationen wie UNHCR und Rotem Kreuz sind praktisch leer.“

Das Schicksal der Flüchtlinge ist ungewiß. Den gleichen Weg wie ihre Landsleute aus der Krajina, die nach Serbien und Montenegro geflüchtet sind, können sie kaum gehen. Nun rechnen viele damit, zumindest für einige Zeit in Banja Luka zu bleiben. Die wenigen Kroaten und Muslime, die noch hier leben, können sich zweifellos auf eine neue Welle der Vertreibung vorbereiten.

Bei Einbruch der Nacht erleuchten Lagerfeuer Banja Luka. Die Stadt ist umzingelt von Tausenden von Entwurzelten, die jetzt den Preis für die wahnsinnige Idee bezahlen müssen, ethnisch reine Gebiete zu schaffen. Es werden nicht die letzten sein.

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