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Der König ist Kunde

■ Neu im Kino: „Ludwig 1881“ von Fosco und Donatello Dubini mit Helmut Berger als idealem Bayernkönig

Der letzte deutsche Märchenkönig war der erste moderne Konsument. Diese ironische Pointe des Lebens von Ludwig II, König von Bayern, ist viel interessanter als all die Spekulationen über seinen Tod, seinen Irrsinn oder seine sexuellen Vorlieben. Nicht, daß Disney Neuschwanstein nachbauen ließ, sondern daß Neuschwanstein nach dem Grundprinzip von Disneyland konzipiert wurde ist der Witz der Historie, und die beiden Schweizer Filmemacher Fosco & Donatello Dubini sind so klug, sich in ihrem Film ganz auf diese Facette des königlichen Lebens zu konzentrieren. Im Jahr 1881 war Ludwig von den Leistungen des Schauspielers Josef Kainz so angetan, daß er mit ihm in die Schweiz reiste, damit er ihm, und nur ihm alleine, Schillers „Wilhelm Tell“ an den Originalschauplätzen vortragen könne. Zu dieser Zeit spielte Ludwig nur noch den König. Er rettete sich in immer absurdere Launen und Zeremonien, und der Film zeigt, wie isoliert und abgehoben der König durch die Schweiz reiste. Er wünsche „im Verlauf der Reise keinen anderen Reisenden und auch keine Schweizer“ zu sehen, ließ er verlauten, und von Staatsgeschäften wollte er auch nicht „belästigt“ werden. Stattdessen suchte er nach „der besonderen Empfindung“ und schickte den armen Schauspieler über Bergpässe und zu allzu herben Naturerfahrungen, damit dieser ihm Schillers Kunst so gefühlsecht wie nur irgend möglich darbieten könne. Natürlich wurde die Reise ein Fiasko: Der Schauspieler bekam wunde Füße, eine heisere Stimme und verschlief den Sonnenaufgang am Rütli. Ludwig brach die Reise enttäuscht ab, denn auf Natur und Begleiter war „kein Verlaß mehr“.

Kaum etwas an diesem Film ist erfunden, auch nicht die abenteuerlichen Projekte, die Ludwig in einigen Rückblenden bei Technikern und Künstlern in Auftrag gibt. So wollte er in einer Gondel über einen See schweben, das Königreich verkaufen und dafür eine tropische Insel kaufen, und er versuchte, sein Theater mit den modernsten Erfindungen in eine Illusionsmaschine zu verwandeln. Wenn er in diese Träume versinkt und wenn er vom schauspielerischen Vortrag Kainz' ergriffen ist, dann rührt einen der sonst so unnahbar-arrogante König plötzlich wie ein mit großen Augen staunendes Kind. In diesen Szenen ist Helmut Berger so gut wie noch nie. 20 Jahre nachdem er den Ludwig für Visconti spielte, kehrt Berger noch einmal zur Rolle seines Lebens zurück und liefert hier eher eine Meditation über diese Figur: erstaunlich zurückhaltend, tief und ruhig. Die letzte Ironie des Films liegt natürlich darin, daß es eben ein Film ist, denn er zeigt einen Ludwig, der mit allen Mitteln versucht, das unmittelbare Erleben von Kunst zu erreichen, das uns heute das Kino vermittelt. In einer Szene sieht man, wie Ludwig in einem Theater eine hochkomplizierte Vorrichtung begutachtet, bei der mit Phonograph, Laterna Magica, und Lichteffekten versucht wird, eine durch und durch cinematographische Wirkung zu erzielen. Ludwig war schon ein Filmsüchtiger, bevor das Kino erfunden wurde. Und so erzählt dieser sehr intelligent gemachte und schön fotografierte Film auch von der Geschichte des Kinos.

Wilfried Hippen

Kino 46, tägl. bis Di. 20.30 Uhr

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