: Wahres Leben im falschen
■ Neu im Kino: „Living in Oblivion“/US-low-budget-Komödie übers Filmemachen und die unbedingte Liebe zum Kino
Szene 6, Take 1 – Mikro im Bild. Take 2 – Schärfe stimmt nicht. Take 3: Scheinwerfer geplatzt. Take 4 und 5 Lärm außerhalb des Sets, die Hauptdarstellerin vergißt ihren Text. Der Regisseur Nick Reve (Steve Buscemi) ist einem Nervenzusammenbruch nahe, verflucht jeden und jede im Team ganz persönlich, da platzt der allerletzte, unter nervlicher Hochspannung vorbereitete Take: eine Armbanduhr piepst in die Stille. Schnitt. Vier Uhr morgens, die Armbanduhr war ein Wecker, der den Regisseur von Films im Film „Living in Oblivion“ aus einem Alptraum reißt.
Nicht einfach, einen abendfüllenden Spielfilm zu drehen über Eitelkeiten, Kabale und Liebe hinter den Kulissen. Die scharfe Trennungslinie zwischen aufwendig eingefangener Illusion vor der Kamera und dem Arbeitsalltag der Filmcrew dahinter, das ist der rote Faden in Tom DiCillos mehrfach ausgezeichnetem, treffsicheren Beitrag über „das wilde Verlangen, das Unmögliche zu schaffen: etwas Schönes auf Film festzuhalten“.
Da fallen einem gleich Wenders' „Stand der Dinge“ ein oder Truffauts „Amerikanische Nacht“. Doch während Wenders' Film sich in schwermütig-elegischem Ton an dem spröden Charme eines desolaten portugiesischen Strandhotels berauscht und Truffaut seine inszenatorische Eleganz und die Landschaft um Nizza zugutekommen, ist „Living in Oblivion“ ein schräges humoriges Kammerspiel für ein No-budget-Filmteam.
Regisseur Tom DiCillo drehte vor vier Jahren seinen letzten Film „Johnny Suede“ mit Brad Pitt in der Hauptrolle – den kannte damals noch keiner, der Film flopte, seitdem konnte DiCillo keinen Film mehr drehen. Seine Reaktion: 16mm, keine Gagen, jeder gibt Geld dazu für „Living in Oblivion“.
Wolf, der Kameramann (Dermot Mulroney): ein sentimentaler Kraftprotz mit schicker Augenklappe und butterweichem Innenleben. Der Beleuchter (Robert Wightman): ein ausgemergelter Arbeitertyp, der immer einen halben Werkzeugkasten mit sich führt und von dem bißchen Glamour am Set viel zu wenig abbekommt. Das Scriptgirl (Hilary Gilford) ist eine biedere Brillenschlange, die sich mit Leichtigkeit vom Hauptdarsteller umgarnen läßt. Die Aufnahmeleiterin Wanda (Danielle v. Zerneck) ist die harte Powerfrau mit Anlage zum burn out-Syndrom.
Mit sicherer Hand entgeht DiCillo der Gefahr, schablonenhafte Abziehbilder aus seinem Filmteam zu machen. Er porträtiert alle von ihnen einfühlsam und mit dem professionellen Einblick, den ihm seine eigene Low-Budget-Filmographie erlaubt. Der ganz normale Wahnsinn hinter der Kulissen: Wanda hat gerade mit Wolf Schluß gemacht, der Hauptdarsteller (James LeGros) – eine gemeine Persiflage auf Brad Pitt – versucht vergeblich, seinen one-night-stand mit seiner Filmpartnerin (Catherine Keener) zu verbergen. Die eigentlich vom Regisseur angebetet wird, der es ihr aber nicht einzugestehen wagt. Nick Reve will schon das Handtuch werfen, da taucht unvermittelt seine Mutter in der Traumsequenz auf – und die Szene wird perfekt. Mit der Gefahr wächst die Rettung, sozusagen. Da fällt mit einem Mal jeglicher Frust von der Crew ab, und alle scheinen wieder zu wissen, warum sie Filme machen wollen und nichts anderes. Das Glück überträgt sich mühelos aufs Publikum, doch da ist der Film leider schon vorbei.
Alexander Musik
In der Schauburg (OmU) und im Cinema
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