piwik no script img

SPD-Blaulichter flackern nur im Exil

■ Walter Mompers rot-grünes Gespräch zur Sicherheitspolitik offenbart die Krise in der SPD: Mutlosigkeit mangels Personal

Erst fünf Jahre ist es her, und doch fällt es schwer, sich die damalige Aufbruchstimmung in Erinnerung zu rufen. Als mit dem Regierenden Bürgermeister Walter Momper eine rot-grüne Koalition die Geschicke dieser Stadt bestimmte, verging keine Woche, ohne daß sich engagierte Polizisten, Strafverteidiger, linksliberale und -radikale Rechtspolitiker trafen, um Neues gegen einen verkrusteten Polizei- und Justizapparat auszuhecken.

In anderthalb Jahren wurde die berüchtigte Politische Abteilung der Staatsanwaltschaft – die sogenannte P-Abteilung – aufgelöst, Polizeibeamte aus ihren Kasernen „befreit“, das Ende der Freiwilligen Polizeireserve (FPR) eingeleitet und der Verfassungsschutz umstrukturiert.

Es war also kein Wunder, als sich der bündnisgrüne Fraktionschef Wolfgang Wieland am Dienstag abend nach dem damaligen SPD-Innensenator Erich Pätzold zurücksehnte. Auch wenn dieser Senator die Mainzer Straße geräumt und damit „spät einen einzigen Fehler“ gemacht habe, an dem die Koalition scheiterte, sei Pätzold doch das Vorbild für eine neue rot-grüne Koalition. Mit diesen Sätzen eröffnete Wieland das dritte der von Momper initiierten „rot-grünen Gespräche“. Doch nicht einmal ein Hauch von Aufbruchstimmung der Jahre 89 und 90 wollte im Berliner Congress Centrum aufkommen.

Zwar schlug die sozialdemokratische graue Eminenz in Sachen Rechtspolitik, Peter Dankert, vor, Ladendiebstähle oder Verkehrsunfälle künftig vom Einzelhandel und von Versicherungsgesellschaften verfolgen zu lassen, um statt dessen der organisierten Kriminalität den Kampf anzusagen.

Justizsenatorin Lore-Maria Peschel-Gutzeit (SPD) will zwar nach der Wahl Kriminalitätsräte einrichten. Die beispielsweise aus Elternvertretern, Nachbarn, Kirchen und Sozialarbeitern zusammengesetzten Räte sollten präventiv auf die dramatisch zunehmende Jugendkriminalität wirken.

Die bündnisgrüne Abgeordnete Renate Künast forderte die Dezentralisierung der Polizei, damit diese schneller vor Ort ist. Auch müßten U- und S-Bahnhöfe mit Geschäften belebt werden, um ihnen die gefährliche Verlassenheit zu nehmen.

Und obwohl sich Sozialdemokraten und Bündnisgrüne weitgehend einig waren, zeigten sich die SPD-Vertreter merkwürdig unentschlossen, an der bisherigen Politik der Großen Koalition ernsthaft zu rütteln.

An diesem Eindruck waren nicht nur SPD-Wahlplakate schuld, die im vergangenen Jahr überdimensionale Handschellen zeigten, und auch nicht nur die Bundes-SPD, die den Großen Lauschangriff will. Den fehlenden Mut zum Setzen neuer sicherheitspolitischer Akzente dokumentierte an diesem Abend eher zufällig jemand aus dem Publikum. Weil sich ein sozialdemokratisch engagierter Polizeibeamter meldete, wurde der Personalnotstand in der SPD im Sicherheitsbereich besonders deutlich.

Jener Polizist war Jörg Cramer von der SIP, den Sozialdemokraten in der Polizei. Unter Rot-Grün war Cramer an jeder Debatte beteiligt, unter der Großen Koalition flüchtete er ins Brandenburger Exil. Mit Cramer gingen andere, und so verabschiedete sich die SIP aus der rechts- und sicherheitspolitischen Debatte der vergangenen Jahre.

An diesem Abend schien es so, als würde sich die SPD mit der Großen Koalition selbst demontieren. Ziemlich hilflos stellte Wieland fest, daß sich sozialdemokratische Polizisten mit großen Skandalen oder kleinen Sorgen seit langem an ihn wenden würden. Dirk Wildt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen