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Kein kleiner Italiener ...

■ ..., weil gar nicht aus Napoli: Heute feiert Vico Torriani seinen 75. Geburtstag

Er wirkt so solide wie eine Teakholzvitrine, so sauber wie die Oberfläche eines Resopaltisches und so anständig-brav, wie es nur Schweizer sein können: Trotzdem war Vico Torriani, geboren 1920 in Genf, den Deutschen der Nachkriegszeit der Parade-Italiener schlechthin. Heute wird der Mann 75 Jahre alt. Seine Karriere, die ihn zu einer der beliebtesten Figuren des hiesigen Showgewerbes machte, ist ohne die Sehnsucht der Wirtschaftswunderdeutschen nach warmer Sonne, gebremster Frivolität und einem Hauch Exotik kaum denkbar. „Addio, Donna Grazia“ hieß sein erster Schlager (1951), der zu einem Hit wurde. Dieses Image des präsentablen Italieners wurde er nie mehr los – gewelltes, doch nicht struppiges Haar; dunkle, aber nicht glühende Augen; lässige, doch keine erotische Körpersprache.

Von Willy Berking für das deutsche Showbizz entdeckt, sang sich Torriani während der fünfziger Jahre durch fast alle Schlagerrevuefilme („Der bunte Traum“, „Träume von der Südsee“), nie in Hauptrollen, aber nie auch nur unter ferner liefen. 1959 überantwortete man ihm die erste eigene Fernsehsendung „Gruezi, Vico“, der endgültige Durchbruch gelang ihm noch im gleichen Jahr mit „Hotel Victoria“, einer Show, in der der gelernte Koch und Konditor nicht nur singen, sondern auch kochen durfte. Was Torriani in den zehn Jahren, die die Show in der ARD zu sehen war, an internationaler Küche zubereitete, war den deutschen Hausfrauen anderntags zumindest eine Überlegung wert...

Der Fehltritt eines Kollegen bescherte ihm schließlich den Durchbruch. Als der Niederländer Lou van Burg, ZDF-Star in der Sendung „Der goldene Schuß“, bei einem außerehelichen Geschlechtsakt erwischt wurde, entschied man sich für die Nachfolge nach langen Überlegungen gegen den jungen Rudi Carrell. Torriani übernahm die Show, in deren Zentrum das – für einen Schweizer nicht unpassende – Armbrustschießen stand. Sein Debüt am 25. August 1967 feierte Torriani mit der ersten deutschen Farb-TV-Sendung. Vicos Assistentinnen prägten in dieser Show, die in den kommenden zwei Jahren auch unter seiner Leitung noch bis zu 80 Prozent Einschaltquoten einspielten, den längst in den Alltagswortschatz übernommenen Satz: „Der Kandidat hat 99 Punkte.“ Nicht genug der Legenden: In eben dieser Show stellte Heintje erstmals seine „Mama“ vor.

Anfang der siebziger Jahre war Torrianis Typ vorerst nicht mehr gefragt, der Beatgeneration war er entweder zu mutig oder zu bieder, jedenfalls in jeder Hinsicht ignorierenswert. Torrianis Versuch, mit einer Show namens „Schaukelstuhl“ an alte Erfolge anzuknüpfen, scheiterte schon nach der zweiten Folge kläglich. Nur noch selten gab er in dieser Zeit kurze Bildschirmgastspiele.

Erst ein Jahrzehnt später, als auf privaten Parties Karaoke-Wettbewerbe veranstaltet wurden und der deutsche Schlager nicht mehr unter Generalverdacht stand, erinnerte man sich seiner auch im Mainstream. „Kalkutta liegt am Ganges“ („Paris liegt an der Seine / Doch daß ich so verliebt bin / Das liegt an Madeleine“) gehörte neben „Schön und Kaffeebraun“ („Sind alle Mädchen in Kingston Town“) zu den gefragtesten Nachmachstücken. Bei „Bear Family Records“ sind zu seinem Geburtstag vier wie immer liebevoll und akkurat produzierte CDs mit alten (Original-)Aufnahmen Torrianis veröffentlicht worden.

Was sie hörbar machen, sind Tondokumente aus einer Zeit, als die Nachkriegsdeutschen noch Angst vor der Fremde hatten. Torriani brachte sie ihnen in kleinen Häppchen nahe: Er kam ja auch nur aus der Schweiz. Jan Feddersen

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