: Von Männersolidarität und anderen Fortpflanzungsfragen Von Klaudia Brunst
Natürlich war selbst uns die Entscheidung nicht leicht gefallen. Schließlich – in diesem Punkt waren wir uns mit meinem schwulen Freund durchaus einig – will man dem Tier ja nicht jede Lebensfreude nehmen. Allerdings – und hier gingen unsere Meinungen dann doch auseinander – hat so eine Kastration doch auch einiges für sich: Der entmannte Rüde, so versprach die einschlägige Fachliteratur, verzichte fortan weitgehend auf nerven- und kräftezehrende Territorialkämpfe und gebe sich daher im Regelfall deutlich häuslicher.
„Fett wie eine Wachtel wird er werden!“ prophezeite uns dagegen mein schwuler Freund, als wir letzten Dienstag unseren Doppelkopftermin vorzeitig verlassen mußten, weil wir an diesem Abend noch einen Kastrationstermin beim Tierarzt hatten. „Fett wie eine Wachtel! Total träge und depressiv bis in die Hoden!“ – „Aber die hat er dann ja gar nicht mehr!“ gab unsere Nachbarin zu bedenken und räumte gleichmütig die Spielkarten zusammen. „Und ein paar Gramm mehr auf den Rippen würde diesem hyperaktiven Hungerhaken auch gar nicht schaden.“ Letztlich sei diese leidige Angelegenheit schließlich überfällig, meinte sie noch. Denn seit unsere Nachbarin den Hund ein Wochenende lang in Pflege hatte, ist auch sie von der Notwendigkeit unseres Handelns überzeugt. Dreimal war der Kleine ihr während der Parkspaziergänge ausgebüchst, nur weil „so eine todhäßliche Chowchow- Hündin gerade ihre Tage hatte“. Natur, so ihr abschließendes Urteil, sei ja ganz schön und gut. „Aber doch bitte in geregelten Bahnen!“
„Mein Gott, seid ihr Lesben lustfeindlich“, schnaubte mein schwuler Freund, „laßt dem armen Tier doch das bißchen Lebensfreude! Und überhaupt! Was wäre denn, wenn das Frauchen seines Vaters auch so gedacht hätte? Dann gäbe es euren Hund nämlich gar nicht! Jede Kreatur auf Gottes Erde hat ein Recht auf Leben. Auch auf ungeborenes.“
„Weißt du, wie du dich anhörst?“ fragte meine Freundin spitz. „Wie ein tierliebender, gottesfürchtiger Mensch, eben!“ – „Nein! Du hörst dich an wie Claudia Nolte und ihr Antiabtreibungsgewäsch! Schutz des ungeborenen Lebens – das ist ja absurd! Es gibt beileibe schon genug Hunde. Da braucht unserer nicht auch noch einen Welpen in diese hundefeindliche Welt zu setzen.“
„Wenn ihr heute abend wirklich zu diesem Schlächter von Tierarzt geht, werde ich jedenfalls nie wieder mit euch ,Columbo‘ gucken!“ drohte unser schwuler Freund daraufhin mit dem Schlimmsten. „Das ist eine Frage von Männersolidarität.“ Sprach's, schnappte sich die Leine vom Haken und trabte mit dem Hund, der während unseres Disputs deutlich seine Abendrunde angemahnt hatte, demonstrativ in Richtung Schwulenklappe im Victoria-Park.
Nach einer ungewissen halben Stunde klingelte es endlich an der Tür. Während sich der glücklich lächelnde Hund sofort in seinen Korb zurückzog, schaute mein schwuler Freund seltsam unbefriedigt drein: „In Gottes Namen, dann entmannt ihn doch!“ schnippte er. „Übrigens wird sich so eine aufgetakelte Chowchowbesitzerin bei euch melden. Sie meint, im Falle fahrlässig verletzter Aufsichtspflicht müßte der Rüdenbesitzer die ,Pille danach‘ zahlen.“
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