: Mächtiger, revolutionärer ...
■ Gespräch mit dem Star-Dirigenten John Eliot Gardiner über das ewig Neue an Beethoven
Der englische Dirigent John Eliot Gardiner ist eine der bedeutendsten Persönlichkeiten innerhalb der sogenannten „historischen Aufführungspraxis“: was ihn auszeichnet, ist die Vielfalt seines Repertoires von Claudio Monteverdi bis Johannes Brahms. Aus Anlaß des Musikfestes ist der Dirigent mit dem vom ihm gegründeten „Orchestre Révolutionaire et Romantique“ wieder in Bremen.
taz: Sie spielen jedes Stück mit dem „richtigen“ Orchester, also dem Instrumentarium des Zeitpunktes der Komposition. Darüberhinaus erarbeiten Sie sich eine Menge Theorie, befassen sich mit der Biographie der Komponisten. Theorie u n d Praxis: für Sie selbstverständlich, in unserer musikalischen Wirklichkeit jedoch selten. Warum?
Gardiner: Die Ausbildungs- und Aufführungsstrukturen sind vollkommen fest, noch immer wird jegliche Musik „aus dem Bauch heraus“ gemacht, es ist eben so. Aber ich möchte mich lieber da bewegen, wo es Hoffnung und Flexibilität gibt: zum Beispiel habe ich jetzt in Salzburg mit den Wiener Philharmonikern, einem traditionellen Weltklasseorchester mit viel Vibrato und „Soße“, wie man so schön sagt, ein klassisches Programm gemacht. Beide Teile, das Orchester und ich, haben da viel Energie hereingegeben, und wir konnten ohne Kompromiß ein gutes Resultat präsentieren.
Zum Bild des Dirigenten: Haben oder hatten Sie Vorbilder?
Als ich jung war, hatte Colin Davis einen großen Einfluß auf mich. Dann Rudolf Kempe und drei verehre ich: Thomas Beecham, Pierre Monteux und natürlich Toscanini.
Sie sind Schüler von Nadia Boulanger. Was haben Sie bei der großen Kompositionslehrerin gelernt?
Alles. Ich kam nach meinem Studium 1967 nach Paris und war musikalisch noch ungebildet. Ich habe bei ihr Theorie gelernt, Analyse – in einem Jahr haben wir alle Klavierkonzerte von Mozart besprochen – , sie war schnell und verlangte sehr viel.
Noch ein Frage zum Orchesterspielen: gibt es für die MusikerInnen eine psychisch belastende Spannung zwischen Hochleistung und Gehorchen – um es überspitzt zu formulieren? Ist das unvermeidlich oder eine Frage des Dirigierstils?
Das muß überhaupt nicht sein. Ich spreche in den ersten Proben mit allen, die haben alle ihre eigenen Vorstellungen. Aber natürlich, das Problem gibt es, es ist undankbar in einem Sinfonieorchester, man darf seine eigene Meinung kaum sagen. Aber das Leben ist viel zu kurz, man kann das einfach nicht demokratisch machen.
Das Programm heute abend ist die Nachbildung einer am 2. April 1800 in Wien erklungenen sogenannten „Großen musikalischen Akademie“: Diese Konzerte nach dem Schema „Sinfonie-Arie-Solokonzert/Pause/Solokonzert/Arie/neue Sinfonie“ waren die ersten öffentlichen Konzerte. Was wollte man damit? Gab es didaktische Aspekte?
Nein. Das war einfach beste Unterhaltung. Und in diesen Konzerten wurden dann aber die Uraufführungen präsentiert, wie hier Beethovens erste Sinfonie. Man muß sich ja vergegenwärtigen, daß die Leute damals nur zeitgenössische Musik gehört haben.
Beethoven hat ja selbst dirigiert bis zur Katastrophe der Fidelio-Aufführung 1822, als er nichts mehr hörte. Er soll bei „Piano“ unterm Pult gewesen sein, dann hervorgesprungen, hereingerufen haben... geben solche zeitgenössischen Beschreibungen eigentlich auch Einblick darein, was Beethoven interpretatorisch gewollt hat?
Ja, schon, aber er hat erst schlecht dirigiert und dann war er taub. Als Pianist war er besser.
Es gibt einen langen Diskurs über die Tempi bei Beethoven: er hat ja alle seine Werke mit Metronomangaben versehen. Wie finden Sie Ihre Tempi?
Die Metronomangaben sind für mich Referenz, mehr nicht. Man darf da nicht fixiert sein. Was heute in der Glocke richtig sein kann, kann morgen in Berlin falsch sein. Zum Beispiel kann man mit einem alten Instrumentarium in hoher Geschwindigkeit absolut durchsichtig spielen, mit einem modernen Orchester geht das nicht. Also muß man ein anderes Tempo wählen.
Sie haben einmal gesagt, daß man bei den neuen Instrumenten nicht hören kann, wie Beethoven mit seiner Komposition „an die Grenzen“ gegangen ist. Und bekannt ist ja auch die Spielverweigerung des Geigers Schupanzighs und die entsprechende Antwort Beethovens: „Was schert mich seine elende Geige...“. Wie ist denn heute, wo die instrumentalen Probleme auch bei den alten Instrumenten gelöst sind, diese „Grenze“ wieder dar- oder herstellbar?
Das ist genau der wichtigste Punkt für jede Interpretation, es ist auch das Schwerste. Deswegen brauchen wir auf jeden Fall das historische Instrumentarium: die müssen alles geben, technisch und klanglich. Das erst gibt diese Spannung, sonst ist es einfach und zu gemütlich, und das ist falsch.
Der Dirirgent Hans Swarowsky hat einmal gesagt, jede Sinfonie Beethovens habe entscheidend Neues geboten, diese seien „streng voneinander unterschiedene Individuen“: was ist das Neue an Beethovens erster?
Fast alles ist komplett neu: Die dissonanten Eröffnungsakkorde, die Grundtonart erst im achten Takt, das „plebejische“ Bläserthema im ersten Satz, oder auch der Paukenwirbel im Andante. Seine Sprache ist die von Haydn und Mozart, die eben noch Auftragskompositionen schrieben. Aber das „Espressivo“, was viel mehr bedeutet als einfach Ausdruck ist total anders: mächtiger, revolutionärer. Ich glaube auch, daß er unglücklich war, als er 1792 nach Wien kam. Er hatte keine Freunde, politisch sympathsierte er mit Buonaparte. Das hört man eben: einen noch höflichen Kern und dann dieses nicht mehr Respektvolle, dieses total neue... ja eben Espressivo.
Im zweiten Klavierkonzert ist die Konvention noch mehr gewahrt? Es seinen „Blitze“, die da reinfunken, sagte der Beethovenforscher Harry Goldschmidt.
Ja, das Wort „Blitze“ ist gut: genau das ist es. Eine Fläche haben und die unterlaufen.
Sie haben ja einmal gesagt, der Dirigent habe grundsätzlich mit dem Manuskript zu arbeiten. Auf das heutige Programm bezogen: Welche Quellen hatten Sie und was bedeutete das im Verhältnis zu den gedruckten Ausgaben?
Das B-Dur-Konzert ist acht Jahre entwickelt worden, im Faksimile gibt es Korrekturen in einer anderen Farbe, die in der ersten gedruckten Ausgabe nicht vorhanden sind. Warum? Es waren Vorschläge, die er später wieder verbessert hat, das geht aus dem Briefwechsel mit dem Verleger hervor.
Fragen: Ute Schalz-Laurenze
Heute um 20 Uhr in der Glocke: Orchestre Révolutionaire et Romantique, Werke von Mozart, Haydn und Beethoven.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen