piwik no script img

Umstritten auch unter Taxifahrern

■ Nach der "Chronik der Wende" hat sich die ARD nun zu den "Stationen der Einheit" vorgearbeitet

Nicht mehr lange hin, dann wird Ganzdeutschland wieder einmal älter. Der Ostdeutsche Rundfunk versucht DEm TErmin mit leichter Kost zu huldigen („Fünf Jahre – und ein bißchen weiser“) und mit den rituell wiederkehrenden Ex- Korrespondenten-Anekdoten („Unser Mann im Osten“). Aber so ein 3. Oktober fordert mehr, als Fritz Pleitgen und singende märkische Großgrundbesitzer leisten können.

Um ihren Bildungsauftrag in Sachen Deutschland erfüllen zu können, haben sich die Macher des ORB-Fernsehens an ihre letzte Geburtstagssendung erinnert, an ihre 73teilige „Chronik der Wende“, die letzten Herbst zu sehen war. Damals durften viele normale Leute davon zeugen, wie sich so eine Vereinigung in die Gesichter furchen kann. Die Reihe erhielt den Grimme-Preis in Gold, man bewunderte die Autoren Hannes Bahrmann und Christoph Links für ihre Art der aktiven historischen Quellenarbeit – und noch heute verkauft sich das Video zur Reihe prächtig.

Nun ist die Fortsetzung der Wende-Chronik angesagt, mit denselben Autoren, aber mit anderen Mitteln. Sie nennt sich „Stationen der Einheit“ (sic!), und nicht nur ihr Name ist ein seltsames Gebilde. In neun „viertelstündigen Geschichtsbildern“ soll gezeigt werden, was vom 1. Januar 1990 bis zum 3. Oktober 1990 geschah.

Die netten Alltagsnasen von früher sieht man kaum mehr. Damit schrumpft die muntere Vielzahl der Interpretationen der damaligen Vorgänge. Politiker haben das Sagen: der berühmte „Blick von unten“ fehlt. Dafür aber soll die Reihe „hochpolitisch“ daherkommen, wie die Chefredakteurin des ORB, Geri Nasarki, verspricht. Und was sie damit meint, wird schon am kommenden Sonntag so richtig deutlich, wenn Jens Stubenrauch vom Januar 1990 erzählt.

Im simplen Tagesthemen-Telegramm-Sound, unterbrochen von den Chorgesängen verschiedener Demonstranten, schildert er uns beispielsweise den 4. Januar 1990 auf sinnstiftende Weise: Eine konspirative Wohnung der Stasi wurde enttarnt. Der Runde Tisch tagte in Sachen Staatssicherheit. Im Treptower Park in Ostberlin wurde das sowjetische Ehrendenkmal mit Nazisprüchen geschändet. Deswegen forderte die SED/PDS einen neuen Verfassungsschutz.

Schwupps! ist es schon der 8. Januar 1990. Die Montagsdemos werden aggressiver. Die Regierung Modrow macht sich für den neuen Verfassungsschutz stark. Aber die Taxifahrer streiken, weil sie keinen neuen Geheimdienst haben wollen. Auch die Blockparteien beginnen sich zu distanzieren. Später heißt es dann, daß die Regierung Modrow wegen den Geheimdienstplänen das Vertrauen der Bevölkerung verloren habe.

Das alles klingt irgendwie faktisch und so vertraut in seinem Sound. Es braucht schon einige altaufklärerische Skepsis, um überhaupt zu bemerken, daß der Film in seiner Montage suggeriert, daß die SED/PDS die Schändung des sowjetischen Ehrenhains inszeniert haben soll, um mit ihrem neuen Geheimdienst die alten Mächte retten zu können.

Aber diese These ist immer noch umstritten, auch unter Taxifahrern. Sie ist – bis eindeutige Beweise vorgelegt werden können – erst mal nur reine Spekulation. Da hilft es auch wenig, wenn der ORB tapfer behauptet, daß er die Ereignisse vor der Vereinigung „wertfrei“ darstellen wolle. Die Autoren schreiben Geschichte, so wie sie sie sich denken und definieren – und sei's auch nur in der Montage – die ganz großen Zusammenhänge.

Das ist der „hochpolitische“ Unterschied zu den 73 Kalenderblättern der alten Chronik. Und wenn auch einer der Fachberater der Reihe, Christoph Links, von den Zuschauern fordert, daß man ihm und seinem Kollegen Hannes Bahrmann als „studierten Zeitgeschichtlern“ mehr „vertrauen“ solle, so bleibt doch ein Rest an bösem Zeifel, ob diese „Stationen“ mit ihrem historisierenden Blick von oben an den Erfolg der alten „Chronik“ anknüpfen können ... Marcus Hertneck

ORB: ab Sonntag, 22.05 Uhr, täglich – MDR: ab Sonntag, 21.30 Uhr, täglich – SDR: ab Sonntag, 0.15 Uhr, täglich

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen