: "Kirch ist derzeit schneller"
■ SPD-Medienexperte Peter Glotz über den Streit um das digitale Fernsehen
taz: Sie sind Aufsichtsrat bei der Telekom. Die hat sich mit Fernsehveranstaltern – von der ARD über RTL bis zum ZDF – zusammengeschlossen, um Leo Kirch beim künftigen Decoder für das digitale Fernsehen Konkurrenz zu machen. Wer hat Ihrer Meinung nach als erster die Nase über der Ziellinie?
Peter Glotz: Das ist die Partnerschaft von Kirch mit dem skandinavischen Unternehmen Nokia. Ich hoffe, daß es noch zu einer gemeinsamen Regelung für den Decoder und das Zugangssystem kommt. Aber derzeit ist Kirch schneller. Sein Decoder funktioniert.
Wieso treibt die technikerfahrene Telekom-Allianz das Digital-TV mit so wenig Dynamik an?
Herr Kirch hat rechtzeitig eigene Vorinvestitionen geleistet, ist ein hohes Risiko eingegangen. Auf diese Weise ist er schneller als die Telekom, die eine Postverwaltung war und sich jetzt erst langsam in eine Aktiengesellschaft verwandelt.
Wie würden Sie im Aufsichtsrat der Telekom stimmen, wenn Ihnen ein Angebot von Leo Kirch zum Kauf seines Systems vorliegt?
Es kommt darauf an, ob ein allgemeiner Zugang zu dem System gegeben ist. Es darf nicht so sein, daß Herr Kirch die Macht hat, zu bestimmen, wer wo was wann machen kann. Prinzipiell gilt: Sowohl Kirch als auch die Telekom und andere müssen das digitale Fernsehen anbieterneutral organisieren.
Wie beurteilen Sie die Forderung des Springer-Aktionärs Leo Kirch, den Chefredakteur der „Welt“ wegen des Kruzifix-Kommentars abzusetzen?
Herr Kirch hat sich mit dieser Aktion keinen großen Gefallen getan. Man sieht, daß er aus religiösen und politischen Gründen brutal dazwischenschlägt.
Die Verquickung von Politik und Medien gibt es aber nicht nur auf konservativer Seite. In Nordrhein-Westfalen macht die SPD Medienpolitik zugunsten der RTL-Sender.
Prüfen Sie doch bitte die Fakten. Sobald ein SPD-Politiker die Absetzung des Chefredakteurs der Westdeutschen Allgemeinen verlangt, behandele ich diesen Politiker genauso wie Herrn Kirch. Aber bisher ist das noch nicht passiert.
SPD-Politiker stellen ihre Interventionsversuche auch nicht so zur Schau wie Herr Kirch, der seinen Brief an den Springer-Aufsichtsrat zuerst an dpa schickte.
Sie können nicht unterstellen, SPD-Politiker seien nur cleverer und zeigten das nicht so. Bisher jedenfalls gibt es keine Nachrichten darüber, daß es solche Einflußnahmen gegeben hätte.
Bei der Lizenzierung von Super- RTL in Düsseldorf kam es zu Unregelmäßigkeiten, die auf Einflußnahme aus der dortigen SPD- Staatskanzlei hindeuten.
So offen wie Herr Kirch übt in Deutschland niemand Macht aus.
Genau das ist der Knackpunkt in der Debatte um den künftigen Rundfunkstaatsvertrag. Welches der Modelle zur Begrenzung der Meinungsmacht bevorzugen Sie?
Ich glaube, daß man ein kompliziertes Modell wählen muß, das an unterschiedlichen Kriterien anknüpft, damit man auch unterschiedliche Konzentrationsentwicklungen in den Griff bekommt. Leo Kirch zum Beispiel ist Rechteinhaber, Fernsehveranstalter und am Springer-Konzern beteiligt. Man muß ein Modell zustande bekommen, das dies alles berücksichtigt und nicht nur an der Zeitungsauflage, der Reichweite von Fernsehsendern oder der Anzahl der Werbekontakte festgemacht wird. Eine Einigung zu finden, die sich sowohl in Bayern als auch in Nordrhein-Westfalen durchsetzen läßt und gleichzeitig nicht weiße Salbe ist, ist eine sehr schwierige Aufgabe.
Im Grunde geht es doch nicht um die Kontrolle von Meinungsmacht, sondern um handfeste wirtschaftliche Interessen der beiden großen publizistischen Lager Bertelsmann und Kirch.
Dieses Bild ist zu einfach. Jetzt kommen ja auch noch Rupert Murdoch und amerikanische Giganten dazu. Das ist schon eine vielfältige Landschaft, und die muß man vielfältig analysieren.
Der bisher einzige ausländische Konzern, der in Deutschland nenneswert Geld verdient, ist die luxemburgische CLT, Gründerin der RTL-Kette. Malen Sie da nicht ein Schreckgespenst an die Wand?
Sie können jedenfalls nicht ausschließen, daß sich internationale Unternehmen an deutschen Veranstaltern beteiligen. Nehmen wir den aktuellen Fall Pro 7: der Sender soll Aktiengesellschaft werden. Soweit ich weiß, wollen sich dort deutsche Versicherungsgesellschaften beteiligen. Aber: Ich will Regelungen haben, die es uns ermöglichen, solche Entwicklungen zu steuern und zu beeinflussen. Das soll nicht von vornherein heißen, es dürfe nun kein Ausländer mehr rein. Genausowenig wie ich sage, die deutschen Konzerne dürfen nicht mehr wachsen. Im Gegenteil: Wir wollen deutsche Konzerne, die auf der ganzen Welt tätig sind. Ich will lediglich sicherstellen, daß in Deutschland keine Berlusconi-Entwicklung eintreten kann.
Mit Hilfe solcher Argumente konnten Quelle und Pro 7 ihr „Home Order Television“ (H.O.T.) auf einen bundesweit zu empfangenden Satelliten hieven, obwohl der geltende Rundfunkstaatsvertrag kein reines Teleshopping-Programm erlaubt. Ist das ein Rechtsbruch?
Den Rechtsstreit wollen wir den Juristen überlassen. Ich persönlich kann überhaupt nicht sehen, wo dieses Homeshopping-Programm die Meinungsbildung der Gesellschaft ungerechtfertigt beeinflussen könnte. Unter der Überschrift „Modellversuch“ soll man das doch um Gottes Willen stattfinden lassen.
Halten Sie die bayerische Ausnahmegenehmigung für „H.O.T.“ aus Wettbewerbssicht für gerecht?
In Deutschland stolpern wir so lange über die Gerechtigkeit, bis wir überhaupt keine Arbeitsplätze mehr haben.
Es gibt eine Vielzahl von Unternehmen, die momentan in ihrer Expansion durch das geltende Recht blockiert werden, die sich aber daran halten.
Das ist der Unterschied zwischen unternehmenden Unternehmern und vorsichtigen Unternehmern. Wenn in diesem Sender auch Nachrichten gesendet werden sollten, dann würde ich ihnen auch auf die Finger schlagen. Aber „H.O.T.“ ist schlicht Teleshopping nach amerikanischem Muster. Interview: Michael Stadik
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