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Arbeiter gingen, Denker kommen nicht

Als Solarzentrum gepriesen, steht der Wissenschaftspark Gelsenkirchen halb leer  ■ Von Walter Jakobs

„Wir sind bei der Vermietung voll im Plan.“ An dieser optimistischen Version läßt Constanze Brinkmann nicht rütteln. Die junge Anwältin, im Management der Betreibergesellschaft des neuen Gelsenkirchener Wissenschaftsparks aktiv, ist eine Überzeugungstäterin. Zweifel am Erfolg des Projekts quälen sie nicht: „Ende nächsten Jahres ist hier alles belegt.“ Zukunftsmusik. Noch stehen 50 Prozent – das sind 5.000 Quadratmeter – des im März 1995 eröffneten Vorzeigeobjektes der Internationalen Bauausstellung Emscherpark (IBA) leer.

Ein Zentrum der Solarforschung sollte hier entstehen, um, so tönte der erste Geschäftsführer Dieter Otten im vergangenen Jahr, „die solare Energie zur Industriereife zu entwickeln“ und von Gelsenkirchen aus „ein Stückchen Weltmarkt“ zu erobern. Davon ist die Stadt noch weit entfernt.

Für internationale Aufmerksamkeit sorgte bisher allein das Gebäude. Für seine außergewöhnliche Konstruktion heimste der Münchener Architekt Uwe Kiessler gleich mehrere Preise ein. Bei der Internationalen Immobilienmesse in Cannes wurde das ausschließlich über Steuergelder finanzierte 75 Millionen Mark teure Projekt als „eines der besten Business-Center in Europa“ ausgezeichnet. Auch der „Deutsche Architekturpreis 1995“ ging an Kiessler. Prunkstück des Gebäudes bildet eine 300 Meter lange, schnurgerade, futuristisch anmutende Glasarkade, die die neun Büropavillons miteinander verbindet. An der Westseite in einem Winkel von 28 Grad an die strahlend weiße, dreistöckige Bürofassade angelehnt, läßt sich die monumentale Glaswand hochfahren. Dann ist der Weg frei zum direkt angrenzenden, neu angelegten See und zur Parkanlage, die die sieben Hektar große ehemalige Industriebrache inzwischen bedeckt. Noch vor wenigen Jahren stand hier eine Gußstahlfabrik von Thyssen. Nebenan lag die Zeche Rheinelbe: Kohle und Stahl Seite an Seite. Vergangenheit. In den roten Backsteingebäuden der längst geschlossenen Steinkohlenzeche residiert jetzt die IBA. Strukturwandel – hier wird er sinnlich erfahrbar, einschließlich aller Schwierigkeiten. Statt tief aus der Erde soll die Energie dereinst hoch vom Himmel kommen. Der Wissenschaftspark gilt als Kristallisationspunkt des neuen Energiezeitalters.

Wohin die Reise gehen soll, läßt sich heute aber erst in Ansätzen beobachten. Auf dem Dach des faszinierenden Gebäudes steht die größte Dach-Solaranlage der Welt kurz vor ihrer Vollendung. Pro Jahr werden die 1.521 Quadratmeter Solarmodule rund 190.000 Kilowattstunden Strom erzeugen – im Durchschnitt etwa ausreichend für vierzig Vier-Personen-Haushalte. Anfang November soll das 6 Millionen Mark teure Solarkraftwerk, von der Europäischen Kommission mit 2,4 Millionen Mark bezuschußt, ans Netz gehen.

Produziert wurden die Module von der Flachglas Solartechnik GmbH in Gelsenkirchen, die sich durch diesen Auftrag, so heißt es im Pressedienst des Wissenschaftsparks, „dazu veranlaßt gesehen hat, ihre Fertigungskapazitäten auszubauen und Gelsenkirchen zu einem Zentrum für die Herstellung von photovoltaischen Solarmodulen zu entwickeln“.

Die größten Hoffnungen für ein „Helicon-Valley“ in Gelsenkirchen ruhen derzeit auf dem mehrheitlich in öffentlicher Hand gehaltenen „Institut für Angewandte Photovoltaik“ (INAP). Die INAP- WissenschaftlerInnen arbeiten daran, die von dem Schweizer Professor Michael Grätzel entwickelte Farbstoffzelle für die Photovoltaik zur Industriereife zu bringen. Von dieser Technik erhofft man sich die drastische Verbilligung des Solarstromes. Rainer Witzel, neuer Geschäftsführer der Wissenschaftspark-Betriebsgesellschaft, sieht für Gelsenkirchen im Erfolgsfall rosige Perspektiven: „Wenn sich das Verfahren durchsetzt, will Prof. Grätzel 1998 hier in Gelsenkirchen seine Idee vermarkten – in Kooperation mit kleinen und mittleren Unternehmen aus der Solar- und Zuliefer-Industrie. Gelsenkirchen wird dann erneut zur ,Stadt der 1.000 Feuer‘, die allerdings ihre Flamme nicht mehr aus Kohle, sondern aus der Sonne bezieht.“ Ob der Durchbruch mit der „Grätzel-Zelle“ tatsächlich gelingt – man hofft in den nächsten zwei Jahren eine Zellengröße von 30 mal 30 Zentimeter zu erreichen –, ist indes noch ungewiß. Die Chancen stehen offenbar fifty-fifty.

Gebrütet wird im Wissenschaftspark in vielen weiteren Instituten. Doch die meisten haben mit der Solartechnik wenig oder nichts gemein. Gleich zwei der neun Pavillons sind vom landeseigenen „Institut Arbeit und Technik“ belegt, das etwa hundert Mitarbeiter beschäftigt.

In dem preisgekrönten Gebäude selbst läuft noch längst nicht alles glatt. Immer wieder gibt es Probleme mit verrückt spielenden automatischen Sonnenrollos und elekrischen Türen, die sich immer dann öffnen, wenn niemand Einlaß begehrt. Doch das sind läßliche Sünden im Vergleich zu den Qualen, die aus der Not an der Verpflegungsfront resultieren. Noch immer findet sich keine Spur von den versprochenen Cafés und Bistros. Endlich sei jetzt, so versichert Constanze Brinkmann, ein kompetenter Pächter gefunden. Die Rettung nahe. Der optimalen Entfaltung des Forschungselans lägen dann keine trockenen Stullen mehr im Wege.

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