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Die Wüste lebt weiter

In Osnabrück probieren BürgerInnen und Behörden neue Wege bei der Sanierung bewohnter Altlasten. Paritätisch besetzter Beirat hat das Sagen  ■ Von Detlef Stoller

„Wir haben auf der einen Seite der Wüste gerade 3.000 Betroffene entlassen können und auf der anderen Seite 5.000 dazubekommen“, sagt Altlastenexperte Detlef Gerdts vom Osnabrücker Umweltamt mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Die Wüste lebt: Der Osnabrücker Stadtteil Wüste ist Deutschlands größte bekannte bewohnte Altlast – 18.000 Menschen leben hier auf gut 2,3 Quadratkilometer Müll. Bis im September 1993 galt in Wüste eitel Sonnenschein – zentrumsnah und ruhig lebte hier jeder zehnte Osnabrücker. Erst dann bemerkten städtische Mitarbeiter schwarze Schichten aus Asche, Hausmüll oder Glas in einigen Baugruben, verteilt über den gesamten Stadtteil. Schnell war klar: Die Wüste – ein altes Feuchtmoorgebiet – hatten Stadt und Gewerbetreibende in den dreißiger Jahren mit Müll trocken gekippt. „Als wir bemerkten, mit was für einer Riesenaltlast wir es hier zu tun haben“, erinnert sich Gerdts, „ist uns ziemlich anders geworden.“

Doch die Stadtverwaltung in Osnabrück reagierte anders als gewohnt: Offensiv offen statt streng geheim. Auf Vorschlag des eingesetzten Gutachters steckten städtische Mitarbeiter Briefe in jeden Briefkasten von Wüste. Neben ersten Informationen bat die Stadt um Mitarbeit. Im Projektbeirat Wüste sollte fortan demokratisch über das weitere Vorgehen diskutiert werden.

Seit November letzten Jahres sitzen 13 Bewohnervertreter gleichvielen Vertretern aus Politik und Verwaltung gegenüber. In nur zwei Jahren soll geklärt sein, wie gefährlich die Müllschicht für die Bewohner ist. Die erste Phase ist bereits abgeschlossen. Die Grenzen der bis zu zwei Meter mächtigen Altdeponie sind nun bekannt. Nun sollen Bodenproben von den mehr als 2.200 Grundstücken und den 300 Kleingärten die Gefahr klären.

Die oberste Maxime ist dabei Transparenz. Bereits viermal verteilte die Stadt flächendeckend in Wüste Infobroschüren zum aktuellen Wissensstand. Verständlich zusammengefaßt statt in meterdicken Aktenbergen verteilt liegen zudem Gutachten bei der Stadt bereit. „Jeder kann aber auch in die umfassenden Gutachten einsehen. Die sind dann allerdings anonymisiert“, erläutert Gerdts.

Datenschutz spricht nicht gegen Akteneinsicht

Den Datenschutz, in anderen Altlastenfällen das Totschlagargument für informationshungrige Bürger, beachten die Osnabrücker – aber, so Gerdts: „Es wäre doch absurd, wenn der Beirat nicht an alle Informationen rankäme.“ Denn der muß jeden weiteren Schritt absegnen. „Bisher waren die Ansätze von Mitsprache schlicht undemokratisch: Faule Kompromisse für nützliche Idioten“, weiß Gabriele Rebbe, Vorsitzende des Bundesverbandes Altlasten-Betroffener e.V. (BVAB) und lobt: „Die frühe Bürgerbeteiligung in Wüste ist demokratisches Neuland.“

Es ist an der Zeit, dieses Neuland zu betreten. Bekannte Altlastenfälle wie die Bille-Siedlung in Hamburg, Dortmund-Dorstfeld oder der Varesbecker Bach in Wuppertal dokumentieren: Ohne demokratische Einbindung der Betroffenen geht es nicht. Konflikte um Grenzwerte mit Gutachtern, Gegengutachtern und Prozessen verschleppen jede Entscheidung. Die Niederlande sind seit Jahren weiter: „Wohnungen und Häuser, die auf ernsthaft verschmutzten Altlasten stehen, muß die Gemeinde zum angemessenen Preis aufkaufen“, erläutert Hanco de Baas, der bei der Umweltorganisatin Nederland Giftvrij Altlastbewohner berät.

Seit Beginn dieses Jahres regelt ein neues Bodenschutzgesetz dort alles Erforderliche. Für Baas entspricht das Miteinander von Behörden und Bürgern demokratischen Traditionen. „Es gehört zu den Spielregeln, der schwächeren Seite Rechtssicherheit und finanzielle Mittel zu geben, damit sie eine ebenbürtige Partei bei dem komplexen Prozeß bis hin zur Sanierungsentscheidung sein kann.“

Von den USA kann man Demokratie lernen

Auch ein Blick über den großen Teich zeigt – es geht. Das US-amerikanische Recht ermöglicht Betroffeneninitiativen finanzielle Hilfe für professionellen Beistand. Bis zu 50.000 US-Dollar stehen Initiativen dort zu. Demokratie, die für deutsche Verhältnisse völlig utopisch anmutet.

Denn hier versteht die Fachwelt Bürgerbeteiligung meist noch als Hemmschuh, Demokratie als unnötige Hürde. Zwar hat man begriffen, daß Maßnahmen gegen den Willen der Betroffenen nur schwer durchsetzbar sind. Der bisher schlimmste Konflikt sitzt noch tief in den Knochen: 1986 blockierten die Bewohner Dortmund- Dorstfelds 71 Tage lang die Sannierungsbagger – bis die Polizei sie gewaltsam verscheuchte. Doch mit einfachen Bürgern über technische und fachliche Fragen zu streiten, scheut man sich.

Das ist auch in Osnabrück schwierig. Ein entscheidender Streitherd ist das Konzept der Gutachter. Es sieht vor, jeweils Proben von sechs Grundstücken zu einer zu vermischen und mittels einer Gruppenanalyse Kosten zu sparen. Die Bürger fordern dagegen grundstücksbezogene Analysen, „allein schon für die Rechtssicherheit“, wie der gewählte Bürgervertreter Rainer Pankrath betont. Den verantwortlichen Gutachter Dietmar Barkowski vom Bielefelder Institut für Umwelt-Analyse (IFUA) beeindruckte, „wie kompetent die Bürger unser Konzept durchleuchteten. Letzte Wahrheit ist eben im Vorfeld nicht zu haben“, räumt Barkowski ein, „und man muß den Beweis antreten.“

Die Folge: Das IFUA-Konzept muß auf den Prüfstand. Danach entscheidet der Beirat über das gültige Konzept. Bloße Zahlenschieberei oder gelebte Demokratie. Eins ist klar: Die zänkische Eintracht muß sich noch beweisen, wenn es um die Wurst geht – um die Sanierung der größten bewohnten Altlast Deutschlands.

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