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Pflanzen zu Stoßstangen

■ Ein Reutlinger Institut erforscht Faserverbundstoffe: Hanf hat gute Eigenschaften

Im 1991 gegründeten Institut für Angewandte Forschung (IAF) der Fachhochschule in Reutlingen ist das Hanf-Fieber ausgebrochen. Emsig wird an der Technologie zur Verarbeitung von Hanf- und Bastfasern geforscht.

Die traditionelle Hanfverarbeitung ist nach Ansicht des Diplomingenieurs Kai M. Nebel nicht dazu geeignet, den Hanffasern langfristig einen Platz in der industriellen Produktion zu sichern. Denn die herkömmliche Langfaserverarbeitung, wie sie im Ausland (Rumänien, China etc.) noch praktiziert wird, ist zu unproduktiv. Die Forscher an der Schwäbischen Alb beschäftigen sich mit einem Verfahren zum sogenannten Aufschluß der Fasern, das schon in den dreißiger Jahren patentiert wurde – dem Dampfaufschluß. Möglichst gut gereinigte kurze Hanfrohfasern werden mit Dampf in einer Art Druckkessel behandelt. Das Ergebnis sind verfeinerte Hanffasern, die nach Trocknung auf Wollspinnmaschinen gesponnen und zu hochfeinen Garnen verarbeitet werden können. Das Verfahren ist ökologisch „sauber“. Benötigt werden Wasser, Energie und Alkali sowie hochverdünnte und biologisch abbaubare Zusätze. Auch bei den Veredelungsprozessen müssen nur geringe Mengen Chemikalien eingesetzt werden, da die dampfaufgeschlossenen Fasern bereits außerordentlich gut gereinigt sind. Ziel des weiterentwickelten Dampfdruckaufschlußverfahrens ist es, die Hanfverarbeitung in die bestehende Textilindustrie zu integrieren.

Dazu ist auch eine Qualitätskontrolle des Rohstoffes nötig. Hanf hat lange, starke, feste Fasern, eignet sich für die Weiterleitung von Wärme und Feuchtigkeit, ist nur gering dehnungsfähig und angenehm kühl auf der Haut. Verglichen mit Baumwolle ist er stabiler. Außerdem sind die Erträge pro Hektar vergleichsweise hoch, wenn auch mangels Erfahrung exakte Zahlen noch nicht ermittelt werden konnten. Hanf biete noch mehr Verarbeitungsmöglichkeiten als Leinen, so Nebel. Allerdings mache Hanfverarbeitung nach Ansicht der Reutlinger Forscher nur Sinn, wenn ökonomische Vorteile gegenüber bisher verwendeten Materialien erzielt werden können.

Filter, Fliesstoffe, Verpackungen, Faserverbundwerkstoffe, Automobilinnenteile und Pflanzentöpfe werden bereits auf Hanfbasis hergestellt. Im industriellen Bereich konkurriert Hanf sowohl mit chemischen und Glasfasern als auch mit anderen Naturfasern. Dabei sind Hanffasern leichter als Glas: Sie erreichen nur etwa 55 Prozent des Gewichtes von Glasfasern. Bei Verbundwerkstoffen ergeben sich durchschnittlich 20 bis 25 Prozent Gewichtsersparnis, abhängig vom Anteil der Hanffasern im Endprodukt.

Außerdem müssen die Hanffasern den in Struktur und Querschnitt weitgehend einheitlichen Synthesefasern in bezug auf Zugfestigkeit und Stabilität angeglichen werden. Dies und auch eine gleichbleibende Qualität kann mit der modernen Meßtechnik und dem Dampfaufschlußverfahren weiter verbessert werden. Durch Verfeinern der Hanffasern wird eine hohe Haftung bei Verbundwerkstoffen und dadurch eine sehr hohe mechanische Festigkeit erreicht. Herkömmliche Kunst

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stoffprodukte werden hierin noch übertroffen.

Bei Automobilformteilen, Stoßstangen oder auch Innenverkleidungen sind solche mechanischen Eigenschaften von großer Bedeutung. Allerdings muß die Lebensdauer dieser Naturfaser- Verbundstoffe erhöht werden – und das geht nicht ohne Chemie. Das Motto lautet hier: Verwendung reiner Kunststoffe, die recycelbar sind. Wäre ein Auto derart ökologisch ausgestattet, verlöre es enorm an Gewicht. Damit reduziert sich nicht nur der Kohlendioxidausstoß, sondern auch der Benzinverbrauch: Das gleicht die höheren Produktionskosten mittelfristig aus.

Wissenschaftlich und nüchtern wird in den Räumen des IAF nach Verfahren gesucht, die eine Eingliederung der Hanffaserverarbeitung in die bestehende Industrie möglich machen. Das Institut hat bereits internationale Anerkennung, wie zum Beispiel den Ford Award, erhalten. Bis in die siebziger Jahre beschäftigte sich das IAF vor allem mit Bastfasern und der Spinnerei. Danach konzentrierte man sich auf Baumwolle und chemische Fasern. Aber seit einigen Jahren hat sich der Hanffaservirus in Reutlingen wieder ausgebreitet – Kai Nebel beschäftigt sich bereits seit rund sieben Jahren schwerpunktmäßig mit Hanf.

Die Chemiker im Institut sind bei ihren Hanfforschungen jedoch nach wie vor auf Privatinitiativen angwiesen. Denn das enorme Interesse an Hanf kam und kommt in erster Linie von Konsumenten und Anbauern, während sich die Industrie skeptisch und die Politik klar ablehnend verhält. Es flossen weder Forschungsgelder, noch wurden Aufträge aus der Indsutrie vergeben. Geforscht wurde trotzdem! Weil eine Legalisierung des Anbaus offensichtlich bevorsteht, kommen jetzt pro Woche fünf bis zehn Anfragen. Vor allem Landwirte fragen nach potentiellen Abnehmern aus der Industrie.

Kai Nebel dämpft den Enthusiasmus, denn die Erfahrungen aus der Flachsforschung sind noch nicht vergessen: Flachsprodukte sind in der produzierten Qualität im Vergleich zu anderen Textilien nicht konkurrenzfähig gewesen. Somit blieben die Anbauer auf ihrer vermeintlich guten Flachsware sitzen. Ins Blaue hinein Hanf anzubauen habe keinen Sinn, das erzeuge nur viel Cannabis-Stroh, meint Nebel.

Es müsse zunächst die fehlende Infrastruktur geschaffen werden. Das fehlende Glied in der Kette ist die Faseraufbereitung. Technisch gesehen sei die Aufbereitung anspruchsvoll, aber im Grunde kein Problem für eine Industrienation. Die Laboranlage zur Aufbereitung von Bastfasern in der Betriebshalle der FH in Reutlingen ist die einzige Maschine in Deutschland, die ausschließlich zur Faseraufbereitung genutzt wird. Das altbekannte Dampfaufschlußverfahren wird aber für andere Anwendungen genutzt: zum Beispiel für die Fermentation, die chemische Umwandlung von Stoffen durch Bakterien und Enzyme.

In der Textilindustrie sind allerdings geeignete Anlagen vorhanden. Im Prinzip sind nur geringe Modifikationen an den auf dem Markt angebotenen Maschinen nötig, um die Hanfproduktion zu starten. Eine industriereife Faseraufbereitung in der bestehenden Textilindustrie wäre also möglich. Allerdings wäre es besser, wenn die Anlagen zur Verarbeitung dierekt beim Erzeuger stünden – dadurch reduzierte sich das Transportgewicht. Kai Nebel: „Regionale Lösungen haben kurzfristig die größten Erfolgschancen.“ Die Wissenschaftler im IAF sehen die Hanfproduktion als Gesamtprozeß, bei dem der Anbau über die Aufbereitung bis zur Weiterverarbeitung integriert betrachtet werden muß. Die Faserqualität hängt von Sorte, Anbaulage, Klima, aber auch vom Reifegrad und der Aufbereitung ab. Forschungsergebnisse zur Aufbereitung von Hanf und zur Qualitätssicherung des Hanfanbaus liegen vor.

Das IAF gibt sein gesamtes Know-how direkt an die Wirtschaft weiter. Konkret ist man mit der Planung und Umsetzung einer integrierten Produktionslinie beschäftigt, die einmal als Pilotanlage eingesetzt werden könnte. Für eine Studie des Bundesministeriums für Landwirtschaft und des Forschungsinstituts für Nachwachsende Rohstoffe führt das IAF gerade die technischen Untersuchungen durch. Geplant ist außerdem eine Studie zur Qualitätssicherung beim Anbau. Maria Reinmüller

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