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Cannabis statt Pillen

Niedrig dosiert hilft Cannabis bei vielen Krankheiten  ■ Von Ole Schulz

„It's good for the flew, for asthma and for tuberculosis – don't critizise it“, forderte Reggaesänger Peter Tosh schon 1975 in seiner Kiffer-Hymne „Legalize it“. 20 Jahre später ist der medizinische Einsatz von Cannabisprodukten in Deutschland jedoch immer noch verboten.

Das war vor gut 100 Jahren ganz anders: Das schon seit Tausenden von Jahren bekannte Heilmittel Hanf – der erste schriftliche Bericht über dessen heilende Wirkung stammt aus der Feder des chinesischen Kaisers Scheng-Nung von 2.734 vor Christus – war seinerzeit weit verbreitet. Haschischtinkturen wurden gegen Altersschlaflosigkeit angewandt, die Pflanze einfach auch „Medizinalhanf“ genannt. Mit der Entwicklung der Schulmedizin reduzierten sich im 20. Jahrhundert allmählich die Anwendungsgebiete, bis Hanf ganz aus den Apothekerschränken verschwunden war.

Mittlerweile zeichnet sich eine Kehrtwende in der Medizin ab. Ellis Huber, Präsident der Ärztekammer Berlin, bescheinigt der Pfanze, sie sei ein vielseitig verwendbares und gleichzeitig eins der am besten erforschten Naturheilmittel. Neuzeitliche Untersuchungen erbrachten den Nachweis von etwa 60 pharmakologisch relevanten Inhaltsstoffen – Cannabis wirkt entspannend (bei Muskelverspannungen, Menstruationsbeschwerden und auch bei Asthma), lindert Schmerzen (bei Migräne und chronischen Schmerzzuständen), hilft bei Schlaflosigkeit und senkt den Augeninnendruck bei grünem Star. Auch gegen die Folgen neuzeitlicher Krankheiten wurde der medizinische Nutzen von Cannabis bereits nachgewiesen: Es reduziert Übelkeit und Brechen in der Chemotherapie bei Krebspatienten und dient als Appetitmacher bei Aids-Patienten, die häufig in wenigen Wochen viel Gewicht verlieren und dadurch krankheitsanfälliger werden.

Aber es macht sich nicht nur jeder Patient strafbar, der Cannabis konsumiert, sondern auch jeder einzelne Arzt spielt mit seiner Zulassung, der Hanf statt Pillen empfiehlt. Dagegen werden synthetische Arzneimittel mit schwersten Nebenwirkungen weiter locker verschrieben. Doch unter der Hand raten inzwischen nicht wenige Ärzte ihren HIV-infizierten Patienten, Cannabis zu sich zu nehmen – gleichzeitig treffen ahnungslose Mediziner auf Aids-Kranke, die ihnen berichten, wie sehr Marihuana und Haschisch ihren Appetit anregen und ihre Schmerzen lindern. Um die Verbreitung von Cannabis in der Aids-Therapie einzuschätzen, hat der Berliner Arzt Jörg Claus gemeinsam mit der Deutschen Aidshilfe seit Juni dieses Jahres mit einer Umfrage unter HIV-Patienten begonnen. „Leider ist die Rücklaufquote bislang relativ niedrig – das ist typisch für die Tabuisierung von Cannabis“, bemängelt er. Gerade solche Aids-Kranke, die noch keinen Kontakt mit der sanften Droge hätten, müßten erst Hemmschwellen überwinden, meint Claus. Ein Symposium mit Ärzten, Wissenschaftlern und Juristen, veranstaltet von der Ärztekammer Berlin, der Deutschen Aidshilfe und dem deutsch-amerikanischen Freundschaftsverein „Irie“, soll Ende Oktober in Berlin die Diskussion um den medizinischen Nutzen von Cannabis neu beleben und ein erstes Bild von den Einsatzmöglichkeiten der Pflanze zeichnen.

Weil die medizinische Verwendung von Hanf so hartnäckig blockiert wird, sind auch die Forschungsergebnisse bisher noch nicht ausgereift. So berichten Epileptiker, daß sie mit Hilfe von Cannabis ihre spastischen Anfälle stark verringern konnten. „Das kann aber auch ganz schwer in die Hose gehen und umgekehrt erst Anfälle auslösen“, weiß der 31jährige Epileptiker Victor zu berichten. Bei ihm hat die Selbsttherapie Erfolg gehabt. Davor mußte er aber die Cannabis-Menge, die er braucht, um ohne Anfälle zu leben, erst einmal im Eigenversuch herausfinden – jetzt nimmt er eine tägliche Dosis von etwa 0,2 Gramm Haschisch zu sich, also deutlich weniger, als in jedem durchschnittlichen Joint enthalten ist. „Als Kranker darf man Cannabis nicht wie eine Droge benutzen. Wenn man nicht dauerstoned sein

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möchte, muß man es wie ein Medikament regelmäßig nehmen und niedrig dosieren“, sagt Victor.

Die Dosierung ist neben der Illegalität das zweite Problem beim medizinischen Cannabis-Einsatz. Denn das nur illegal erwerbliche Cannabis weist starke Qualitätsschwankungen auf, die eine regelmäßige Dosierung schwierig machen. In den USA gibt es immerhin seit 1982 ein Medikament, das den synthetisch hergestellten Cannabis-Wirkstoff THC enthält – „Marinol“ ist allerdings teuer und hat Nebenwirkungen. Während es für die Fasernutzung von Hanf längst eine Lobby gibt, zeigt die Pharmaindustrie noch kein Interesse an der Vermarktung einer Cannabis- Arznei zeigt. Dafür hat Mathias Bröckers, der Gründer des „HanfHauses“, seine eigene Erklärung: „Cannabis ist die billigste Medizin, die man sich vorstellen kann. Ein Kilo feinstes Marihuana kostet in der Produktion genausowenig wie ein Kilo Kartoffeln.“

Cannabis – das neue Allheilmittel? Wohl kaum. „Es ist keine Wunderdroge, sondern ein Arzneimittel unter vielen anderen, das sinnvoll eingesetzt werden kann“, urteilt Ellis Huber. Wenn ein Präparat überhaupt wirken solle, müsse erst mal die „innere Einstellung“ zum Medikament stimmen, sagt er: „Was dem Blumenkind der 68er-Generation sein Joint ist, um sich zu entspannen, ist anderen ein Vivaldi-Konzert.“

Symposium „Medizinischer Gebrauch von Cannabis“, 29.9., 9-18 Uhr, Kaiserin-Friedrich-Haus, Robert-Koch-Platz 7, 10115 Berlin

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