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Eine Hexe und Heilige

■ Taslima Nasrin war 1994, das zeigte die Demo in Dhaka, real gefährdet

Eine kleine, unbedeutende Demonstration sei es gewesen, hieß es im Bericht vom 30. Juni 1994. 25.000 Menschen – für die hochpolitisierte Bevölkerung Dhakas, der Hauptstadt Bangladeschs, eigentlich kaum einer Erwähnung wert. Dennoch waren es genug, um potentiellen Überzeugungstätern den Mut zu geben, die „gottlose Hure“ Taslima Nasrin in den „verdienten Tod“ zu schicken. Und es waren wohl vor allem solche, die die zahlreichen Redner an diesem Tag im Auge hatten, als sie reihum ans Mikrofon traten und die Schriftstellerin als „Ausgeburt des perversen westlichen Denkens“ denunzierten, die bereit sei, dem Islam den Todesstoß zu versetzen.

Als dann noch das Mittagsgebet gesprochen wurde und weitere Hundertschaften laut schreiender Männer sich der Kundgebung anschlossen, wurde es den wenigen westlichen Journalisten mulmig. Ein junger Mann trat auf uns zu und begann, uns zu beschimpfen: Ungläubige seien wir, was uns eigentlich einfiele, hier auf den Gebetsmatten zu sitzen und später in unseren Berichten den Islam in den Dreck zu ziehen.

Es gab damals wohl niemanden in Dhaka, der Taslima Nasrin eine Überlebenschance gegeben hätte, hätte sie sich dort gezeigt. „Sie will es nicht anders“, meinte eine Frauenrechtlerin sichtlich verärgert über Nasrins Provokationen. Jahrelang hatte die Gelegenheitsjournalistin in Pamphleten ihren Hohn über den Obskurantismus ihrer Landsleute ausgeschüttet. Was ihre Gegner noch mehr verbitterte, war, daß die gesammelten Nasrin- Kolumnen zu Bestsellern wurden.

Der Lebensstil der jungen Ärztin schockierte auch die liberale Intellektuellenszene Dhakas, und Feministinnen ärgerten sich über die verbalen Provokationen dieser Frau, die ihrer Ansicht nach die patriarchalischen Strukturen der Gesellschaft eher festigten. Dennoch gingen alle für sie auf die Straße, als die Hexenjagd eröffnet wurde. Das galt auch für die Reaktionen auf ihren Roman „Lajja“. „Man sollte das Buch nicht als fiktionales Werk lesen“, meinte damals die Universitätsdozentin Meghna Guhathakurta. „Es ist ein miserabler Roman. Und wie alles, was sie schreibt, ist es eigentlich ein Pamphlet: einseitig, verzerrend, ungerecht. Aber es nimmt eine Entwicklung vorweg, die bei uns latent ist“, sagte Guhathakurta, selbst eine Hindu, am Tag nach der Anti- Nasrin-Demonstration.

Taslima Nasrin gab damals in Bangladesch ein ideales Feindbild ab, das die untereinander zerstrittenen religiösen Gruppen zusammenführte: eine junge, selbständige Frau, die religiöse, gesellschaftliche und sprachliche Tabus mit herausfordernder Lust brach. Daß die westliche Menschenrechtsszene genau diese Merkmale heranzog, um aus der Hexe ebenso schematisch eine Heilige zu machen, steht auf einem anderen Blatt. Bernard Imhasly, Neu-Delhi

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