: „Zehn Sätze sind zu schwach“
■ Frauenpolitik unter der Großen Koalition: Es hagelte scharfe Kritik auf Frauensenatorin Christine Wischer nieder bei einer Diskussion im Presseclub
Mit so vielen Teilnehmerinnen hatten die Organisatorinnen nicht gerechnet: Kurz vor acht Uhr am Donnerstagabend mußten weitere Stühle herangeschleppt werden, um den mehr als 50 Frauen im Presseclub einen Sitzplatz zu bieten. „Wie artikuliert sich Frauenpolitik in Bremen unter der Großen Koalition?“ war die Frage, die Vertreterinnen der Parteien, die Leiterin der Zentralen Gleichstellungsstelle für Frauen (ZGF), Ulrike Hauffe, und Senatorin Christine Wischer (SPD) auf Einladung des Bremer Frauenausschusses diskutierten.
Im Zentrum der Kritik stand Christine Wischer, die als Senatorin für Gesundheit, Jugend, Soziales und Umweltschutz unter der Großen Koalition auch für die Frauen zuständig ist. Wie die taz berichtete (taz vom 27.9.), soll die Senatorin nach Willen des Finanzsenators in den nächsten beiden Jahren in den Bereichen Gesundheit, Jugend und Soziales rund 51 Millionen einsparen. Nach einer internen Giftliste des Sozialressorts würde dies für zahlreiche Sozial- und Gesundheitsprojekte den Todesstoß bedeuten, darunter ein Frauenhaus und Frauengesundheitsprojekte.
Kritik hagelte es am Donnerstag abend von allen Seiten, jedoch unterschiedlich scharf. Annegret Pautzke, zuständig für die Frauenpolitik der Bremer FDP und in „außerparlamentarischen Opposition“, wie sie selbstironisch bemerkte, kritisierte das „Mammutressort“, in dem das Fraueninteresse leicht unter die Räder kommen könne. Angesichts der Einsparvorstellungen bestehe die Gefahr, „daß der Frauenpolitik der Garaus“ gemacht werde. Sie forderte einen „differenzierteren Umgang mit engen Mitteln“ und forderte, verstärkt auch im Bau- und Verkehr-, im Hafen- und Wirtschaftsressort zu sparen.
Die Frauenpolitik sei im Koalitionsvertrag viel zu dünn vertreten und auch finanziell zu schwach abgesichert, kritisierte die Grüne Maria Spieker: „Zehn Sätze zwischen Kindern und älteren Menschen sind zu schwach.“ Spieker vermißt Inhalte: „Was bedeutet die Verwaltungsreform für Frauen, und wie soll das Landesgleichstellungsgesetz voran getrieben werden?“ Auch wie sich Bremen im Bundesrat bei so drängenden Fragen wie dem § 218, Vergewaltigung in der Ehe oder einem eigenständigen Bleiberecht für ausländische Frauen verhalten, sei ungeklärt.
Während die Oppositionspolitikerinnen deutlich ausholten, fragten die betroffenen Projektefrauen eher vorsichtig nach weiteren Informationen. Vertreterinnen des Frauengesundheits- und des Mütterzentrums wollten wissen, nach welchen Kriterien eingespart werde und ob außer für gesetzlich vorgeschriebene Dienstleistungen überhaupt noch etwas übrig bleibe. Doch nicht nur die Frauenprojekte sehen schwarz: Auch die Einsparungen im Kinder-, Jugend- und Altenbereich gingen auf Kosten der Frauen, kritisierte eine Zuschauerin, „denn mit Kindern oder Pflegebedürftigen zu Hause kann man doch nicht arbeiten gehen“.
Senatorin Wischer war standhaft. Sie betonte, daß die Kürzungen noch nicht Beschlußlage, sondern weiterhin Verhandlungssache seien. „Es geht auch nicht darum, daß ich ihre Arbeit nicht wertschätze“. Doch Wischer malte nicht schön: Es sei nur ein kleiner Bereich in ihrem Ressort, in dem die Zahlungen nicht gesetzlich festgeschrieben seien. Und für den sieht es schlecht aus. Wischer: „Wenn das so bleibt, bleibt danach wirklich nicht mehr viel übrig. Aber ich werde dafür kämpfen.“ Sie betonte, daß gespart werden müsse und eine Verkleinerung des Senats wünschenswert sei. Statt mit einem eigenen Stab will sie Frauenpolitik als Querschnittsaufgabe betreiben.
Doch die Sozialsenatorin hat ein weiteres Problem: „Zum 1.1.1996 muß ich den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz verwirklichen, und der ist bei den jetzigen Plänen noch nicht dabei.“ sao
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