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Der Herr der Hefen

■ Es gibt ihn, den Weserwein! Sonnige Schwachhäuser Lagen ... 60 Grad Öchsle

Gourmets mögen sich schütteln, Edelzungen eine Gänsehaut bekommen, und doch ist es wahr: Es gibt ihn, den Weserwein. Etwa 60 Bremer Winzer und Winzerinnen bauen auf Südlagen und unterm Glasdach ihren privaten Roten oder Weißen an. Nach sonnigen Sommern kann man Spitzenprodukte durchaus bei Tisch anbieten, das sind dann ganz liebliche Tropfen, die tatsächlich an Wein erinnern. Damit aber aus Bremer Trauben Trinkbares wird, braucht der Winzer die Hilfe der Chemie bzw.: die Drogerie Zinke.

Winzer in Bremen wird man meist so: Aus dem Urlaub bringt man sich einen Rebstock mit; man steckt den Rebstock ganz unbedarft in die Erde; binnen Kurzem hat der Rebstock mit seinem Blattwerk die gesamte Fassade bedeckt; im Herbst dann wachsen einem süße Trauben in den Mund in solchen Mengen, daß man gar nicht anders kann, als Winzer zu werden. Dann hört man sich um, dann fällt der Name Zinke.

Herr Winter ist der Eigentümer der Traditionsdrogerie Zinke (“seit 1903“) in der Faulenstraße. Vor etwa zehn Jahren hatte der wuschelige Herr Pütz in seiner TV-Sendung „Hobbythek“ die Weinherstellung vorgeführt. Seitdem kommen die Leute und wollen Hefe kaufen, Glasballons und Schönungsmittel. Ging es zunächst um Pflaumen- und Apfelweine, boomt seit vier Jahren in Bremen der Traubenwein.

Der Neuwinzer wird vom Hause Zinke mit Rat und Tat vom Pflücken bis knapp vor dem ersten Vollrausch begleitet. Zinke sagt, wie abgestengelt wird; welches Antigeliermittel zu benutzen ist; Zinke verleiht Obstmühlen und Pressen; mit dem ersten halben Liter Traubensaft darf man vorbeikommen, „das Weitere besprechen“ (Winter). Im Laden werden die zwei entscheidenden Werte erhoben: die Grad Öchsle und der Säuregrad. Öchsle steht für den Zuckergehalt, nach einem guten Sommer erreicht man in Bremen 55 bis 60 Grad Öchsle. 80 Grad aber sind Minimum für einen Wein, darum heißt es: aufzuckern. Zuwenig Zucker würde die Hefe frühzeitig verhungern lassen, es gäbe keinen Alkohol und keinen „Restzucker“, also ein saures Pißtröpfchen.

Und auch die korrekte Säure will eingestellt sein: mittels kohlensaurem Kalk oder Milchsäure. Der Neuwinzer bekommt schließlich noch eine Hefe mit (“Burgund“ oder „Bordeaux“ für den Roten, „Liebfraumilch“, „Deidesheim“ oder „Bernkastler“ für den Weißen), für eine schnelle und kontrollierte Gärung. Mit Glasballons, Gummipfropfen, Schläuchen und Filtern beladen verläßt der Neuwinzer das Geschäft.

Dieter Richter (Großbeerener Goldtröpfchen) ist seit vier Jahren Zinke-Kunde. In seinem Keller macht es „Blubb blubb blubb“. In einem 5-Liter-Ballon schäumt die 95er Ernte seines Rotweinstocks schon. Fruchtfliegen umschwärmen den Gäraufsatz, der die blubbernden Hefeabgase raus-, aber keinen Sauerstoff reinläßt. Mit dem Weißen wird es dieses Jahr nichts – Schimmel hat die Trauben befallen, und vermutlich aufgrund unreflektierter Gesundheitsbedenken unterließ Richter notwendige Spritzungen. Eine Weinprobe seiner Jahrgänge 93 und 94 zeigt, daß Winzer experimentierfreudige Menschen sind. Der 93er geht interessant ab, ist groß und rund und erinnert an Tokaier. Im Folgejahr hatte Richter dann am Zucker gespart, wollte mal was Trockenes. Heraus kam ein frischer, trockener, aber langweiliger Tropfen ohne Abgang. Das kommt davon, wenn man sich von Zinkes Empfehlungen entfernt.

Es mag dem Kunden und Kundinnen passen oder nicht, er kann auch ruhig seine eigenen Erfahrungen machen – letztlich wird er auf den Chemiecocktail von Zinke zurückgreifen. Wer seinen Wein nicht innerhalb weniger Wochen wegtrinken will, kommt nicht um die Schwefelung herum. Und hat man sich schon so viel Mühe gegeben, soll der Tropfen doch kristallklar dunkelrot oder goldgelb sein – dazu gibt es diverse Schönungsmittel. Zum Schluß Zinkes Schmucketiketten drauf (“Fröhlicher Kellermeister“), und man hat die ersten Weihnachtsgeschenke fertig.

Die Beziehung zwischen dem Winzer und seinem Chemikalienhändler ist in der Regel stabil und wird alljährlich erneuert. Manchmal ist Winter die Dankbarkeit seiner Kunden etwas strapaziös – kommen sie doch gern mit ihrem gelungenen Tröpfchen schon morgens vorbei zur Weinprobe. Da muß er sich dann freuen über Weine mit 4 Prozent Alkohol und null Restzucker. Winter, privat ein Freund kalifornischer, südafrikanischer, italienischer und französischer, nicht aber deutscher und keineswegs Bremer Weine, weiß sich zu beherrschen: „Die Leute sind sehr stolz auf ihr Ergebnis.“ BuS

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