: Alles nur Theater
■ Richterin als Angeklagte – Spektakel zum 100. Gerichtshaus-Geburtstag / Eine zynische Ausstellung über Justiz im 3. Reich blieb eher unbeachtet
Was wären RichterInnen, Schöffen, StaatsanwältInnen oder VerteidigerInnen ohne Angeklagte? Überflüssig. Und doch kam die große Feier am Samstag, zum hundertsten Geburtstag des Gerichtsgebäudes an der Domsheide, ganz ohne ihre eigentlichen Anlaßgeber aus. Echte Räuber waren unter ondulierten Frisurenbergen, in karierten Wollanzügen, mit Täschchen oder altgedientem Spazierstock auf den ersten Blick jedenfalls nicht auszumachen.
Eine harmlose Form der Pädagogik hatte man im großen Schwurgerichtssaal 218 gewählt. Der Ladendiebstahl, das Allerweltsdelikt von Menschen wie Petra Sitte und ich, kam dort zur Strafverhandlung. Deutlich erzieherisch hatte Landgerichtspräsident Berndt-Adolf Crome die Anmoderation übernommen: „Viele Leute denken ja, sowas kommt gar nicht raus, oder das Verfahren wird eingestellt“ – aber weit gefehlt. Von der Diebin zur Räuberin wird man nämlich schon per kräftigem Faustschlag vor die Brust des Kaufhausdetektivs. Das sieht nach Fluchtversuch mit Beute aus, ist aber Raub. Monate bringt's ein, wenn nicht Jahre – je nach Überzeugungskraft der Angeklagten. Die war im Falle der fingierten Strafsache ebenfalls fingiert. Richterin Ellen Best spielte die Rolle der zerknirschten Kaufhausdiebin, der "abgebrochenen“ Friseuse Frau Sander. Die übrige Besetzung aber war echt, von der Rechtsanwältin bis zum Richter. Sie gaben eine Berufungsverhandlung als Lehrstück.
„Diese kleine Frau kann dem großen Kerl von Kaufhausdetektiv sicher keinen blauen Fleck machen.“ Der kraftstrotzende junge Mann im Publikum ergreift Partei. Sicher lügt der Kaufhausdetektiv um der Frau eins auszuwischen. Der Schöffe ein paar Reihen weiter, der seiner Frau mal den Arbeitsplatz zeigen will, sieht das anders: „Das wird sicher eingestellt“, prognostiziert er. Das sei oft so. Und „schlimm“.
Die angeklagte Richterin will sich am Ende des Stücks jedoch lieber nicht zum Realitätsgehalt äußern. Auch nicht zur Frage, ob zwei Stunden Verhandlung für 500 Mark Kaufhausdiebstahl angemessen sind. Sie weist lieber auf den Verhandlungsverlauf hin: „Es ist oft überraschend zu sehen, was hinter den Taten steckt.“
Im Falle unserer Kaufhausdiebin war's der böse Ehemann. Der kaufte sich nur nur selber Autos – und der Frau gar nichts. „Oh, sie weint“, schreckte manche Zuschauerin bei der Urteilsverkündung hoch. Und während ihr Ehemann noch darauf bestand, daß solche Verhandlungen sein müssen, „das gibt unser Recht her. Das muß geklärt werden“, lehnt sie sich genüßlich zurück. So ein Brimborium wegen einer geklauten Handtasche... „ach wissen Sie, das ist doch nur Theater.“
Kein Theater dagegen war die Ausstellung im Gerichtsflur: fotokopierte „Dokumente der Justizbürokratie 1933 bis 1945“. Nicht gerade ein Publikumsmagnet. Vielleicht war das gut so. Denn hier wurde die Frage nach historischen Hintergründen zwar behandelt – allerdings geschmacklos: „Arbeitsüberlastung während des totalen Krieges gefährdete sogar den ordnungsgemäßen Vollzug von Todesurteilen“. So war eine Stellwand der Dokumentation lapidar überschrieben. Eine zynische Erklärung für die Gründe der „Arbeitsüberlastung“, die „sogar“ die Todesurteile der Nazijustiz „gefährdete“, ergab sich erst zwei kopierte Blatt Papier weiter, in einem Schreiben der Bremer Oberstaatsanwaltschaft an das Reichsjustizministerium, 1944.
Darin protestierten die Bremer Nazianwälte gegen die untersagte öffentliche Bekanntmachung eines Todesurteils gegen vier Zwangsarbeiter – wegen Tabakdiebstahls. Zur „Abschreckung“ hätten die Bremer das Urteil gerne in sämtliche Sprachen übersetzt und in den Arbeitslagern veröffentlicht. Dafür hätten sie Zeit gehabt, erschließt die Leserin. ede
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