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„Guten Tag, liebe Deutsche!“

■ Dreiteiler: „Die neue Republik“ ab Di., 21.30 Uhr, ARD

„Was ist aus uns geworden? Wer sind wir Deutschen?“ Gewaltige Fragen verstellen immer ein wenig den Blick auf mögliche Antworten. Die Dokumentarfilmer Gitta Nickel und Wolfgang Schwarze (beide Ost), flankiert von FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher, hat das nicht geschreckt. Ihr Beitrag „Wir und die Einheit“ eröffnet die MDR-Reihe „Die neue Republik“ nicht mit Analysen, sondern mit sozial und emotional konträren Bildern.

Zum Beispiel die Sache mit dem Fotografen Konrad Hoffmeister! Der fotografiert seit Jahren Leute mit einer Papptafel in der Hand, auf die sie ihre höchstpersönliche Ansicht von Deutschland geschrieben haben. Morgens begrüßt der Fotograf die Porträts an den Atelierwänden mit einem frischen „Guten Tag, meine lieben Deutschen!“ Als er wieder einmal „liebe Deutsche“ zu sich bittet, folgt die Kamera den Ansichten einer Ost-West-Familie. Deutschland konkret.

Dann geht es hinaus ins Grüne: zur Lyrikerin Eva Strittmatter (Ost), dann zur Lyrikerin Ulla Hahn (West). Hölzerne Wände und bäuerliche Einfachheit versus kühle, schlanke Eleganz. Deutschland? Ach, ein großes Wort. Strittmatter boxt eher in der Klasse Einzelmenschen, und Ulla Hahn versteht sich sowieso als Kosmopolitin. Beide sind Äonen weit voneinander entfernt, perfekte Klischees ihrer Sozialisation. Der Film beschönigt das latente Desinteresse der Befragten nicht. „Die Menschen in der DDR sind unglaublich tapfer“, findet Ulla Hahn dann doch, natürlich auch ein Klischee.

Es wird durch diesen Film bestätigt. Im Wohnzimmer einer sechsköpfigen, arbeitslosen Familie aus Sachsen träumen die Kinder von einem Lottogewinn. Man fühle sich so ohne Arbeit und Ansehen „menschlich bescheiden“, auch in Kleinmachnow bei Berlin übrigens, wo auf mehr als 80 Prozent der Häuser Rückübertragungsansprüche bestehen. „Es wird über uns befunden, nicht mit uns verhandelt“, sagt eine Frau sehr leise. Die AutorInnen lassen die Leute reden, im oder gegen den politischen Phrasenbrei rudern, ohne sie durch redaktionelle Absichten zu verbiegen. awe

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