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Noch ist Sarajevo keine offene Stadt

Die Zufahrtswege für den zivilen Verkehr sind nach wie vor begrenzt. Sniper bedrohen die Straßen. Aber die Versorgung der bosnischen Hauptstadt soll jetzt verbessert werden  ■ Aus Sarajevo Erich Rathfelder

Vom Berg Igman aus sind die Narben, die der Krieg Sarajevo zugefügt hat, nicht zu erkennen. Sanfte grüne Hügel umgeben das im Tal liegende Häusermeer, das in ein mildes Herbstlicht getaucht ist. Doch nach etlichen Windungen der Paßstraße ist der schöne Schein dahin. Die Straße vom Berg Igman – ein ungeteerter Weg, der oft nur einspurig befahrbar ist – symbolisiert die Geschichte des Krieges in und um Sarajevo. Die Route verbindet nämlich die von der bosnischen Regierung kontrollierten Gebiete im Zentrum des Landes mit den Vororten Hrasnici und Butmir. Von dort führt seit 1993 ein 1,60 Meter breiter und 1,40 Meter hoher Fußgängertunnel in die Stadt. Auch Lebensmittel gelangen auf diesem Wege zu den 350.000 Menschen in Sarajevo.

Seit mehr als drei Jahren ist die Paßstraße heftig umkämpft. Die Belagerer wollten den dünnen Faden der Stadt zur Außenwelt gänzlich durchschneiden. Als dies fehlschlug, verlegten sie sich darauf, die Fahrzeuge zu beschießen. Ausgebrannte Fahrzeugswracks und angekohltes Gestrüpp legen Zeugnis ab von den Tragödien, die auf dieser Straße stattgefunden haben. In den letzten Wochen haben Pioniere der Schnellen Eingreiftruppe Erdwälle aufgetürmt. Doch der Weg nach Sarajevo bleibt gefährlich. Lediglich die Artillerie rund um die Stadt ist zum Schweigen gebracht, die Scharfschützen dagegen sind weiterhin aktiv.

Auch nach den Nato-Angriffen und dem Abzug der serbischen Artillerie ist Sarajevo noch nicht befreit. Bislang durften nur UNO- Fahrzeuge die alte Straßenverbindung von Kiseljak nach Sarajevo durch serbisch besetztes Gebiet nutzen, für die Bewohner der Stadt hat dies jedoch wenig Bedeutung. Erleichterung hat hingegen die Öffnung der sogenannten „blauen Routen“ gebracht. Über das von der UNO kontrollierte Gelände des Flughafens können nun bosnische Fahrzeuge direkt in die Stadt gelangen. Die mitgeführten Waren brauchen nicht mehr durch den Tunnel geschleust werden. Im Gegenzug dürfen auch die Serben den Flughafen überqueren.

Alles dies hat es schon einmal gegeben. Damals, nach dem Nato- Angriff im Februar 1994, stimmte Serbenführer Radovan Karadžić der Öffnung „blauer Routen“ zu und gestattete der UNO, die Straßen nach Kiseljak und Visoko zu benutzen. Im Sommer 1994 wurden diese ersten Ansätze der Entspannung jedoch wieder zurückgenommen. Die UNO ließ es zu und provozierte damit schließlich den zweiten Angriff der Nato.

„Die Stimmung in Sarajevo ist nicht besonders hoffnungsvoll“, sagt der Filmemacher Ismet Arnautalić. „Erst haben sich die Menschen über die Aktion der Nato gefreut, jetzt ist jedoch Ernüchterung eingetreten.“ Arnautalić ist skeptisch geblieben. „Die Serben dürfen weiterhin Artillerie um die Stadt postieren, sie können ihre Waffen, die offiziell zurückgezogen wurden, binnen Stunden wieder zurückbringen, die Scharfschützen töten wie eh und je.“ Und er deutet auf das Bild eines Mitarbeiters, der vor wenigen Tagen von einem Sniper getroffen wurde.

Vor dem Hotel Holiday Inn stehen ein paar UN-Soldaten. Sie haben sich an einen sicheren Ort zurückgezogen. Denn gerade vor zehn Minuten wurde ein Auto von Scharfschützen getroffen. Eine Passantin erzählt, daß an allen gefährlichen Punkten immer noch geschossen wird. Neben der Bedrohung durch die Scharfschützen leidet die Bevölkerung Sarajevos nach wie vor darunter, daß die Wasser- und Gasversorgung zusammengebrochen ist und es nur alle paar Tage für einige Stunden Strom gibt. Im Mai dieses Jahres hatte Karadžić nämlich beschlossen, die bescheidenen Fortschritte, die in Verhandlungen erzielt worden waren, zunichte zu machen. So wurde die Stadt im letzten Winter noch über eine Erdgaspipeline aus Rußland versorgt. Wenn auch nur wenig Gas geliefert wurde, so reichte es, um wenigstens ein warmes Essen am Tag zuzubereiten. Die Pipeline wurde jedoch auf serbisches Betreiben hin dichtgemacht. Rußland stellte der bosnischen Regierung 150 Millionen Mark in Rechnung, darin eingeschlossen waren auch die Lieferungen an die bosnischen Serben.

Schon jetzt sind die Abende empfindlich kalt geworden. Das kleine Verbundsnetz zur Versorgung Sarajevos und der umliegenden serbisch besetzten Gebiete ist außer Betrieb. Weil Karadžić die Stromleitungen, die das Kraftwerk im zentralbosnischen Kakanj mit Sarajevo verbinden, gekappt hat, ist auch die serbische Bevölkerung in den von ihm kontrollierten Gebieten ohne Strom.

Immerhin gab es jetzt bei Verhandlungen unter Aufsicht der UNO erste Erfolge. So soll die Trinkwasserversorgung in den nächsten Tagen verbessert werden, wie ein UN-Sprecher in Sarajevo am Wochenende ankündigte. Auch die zerstörten Stromleitungen könnten in einer Woche repariert werden. Die bosnischen Serben und die Regierungstruppen hätten sich verpflichtet, die Reparaturarbeiten nicht zu stören. Ungelöst blieb demgegenüber die Frage der Gasversorgung.

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