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Fatemeh Amin ist 23 Jahre alt. Sie gibt keinem Mann die Hand, sie hat noch nie geküßt: „Ich bin froh darüber.“ Seit zehn Jahren trägt die gläubige Muslimin das Kopftuch: „Es macht mich frei.“ Amin lebt seit 1985 in Hamburg – aus Teheran war ihre Familie wegen des iranisch-irakischen Krieges geflüchtet. Die Krankenschwester, die Ärztin werden will und „nur im Notfall Männer berühren darf“, hofft, wie sie im Gespräch mit Arno Luik sagt, auf „eine Gesellschaft voller Liebe“.

„Nach der Heirat können wir uns berühren“

taz: Frau Amin, ich darf Ihnen nicht die Hand geben?

Amin: Nein, das geht nicht.

Das ist doch absurd.

Das ist mein Glaube, und das ist überhaupt nicht absurd. Zwischen zwei Nichtverheirateten darf es keine Berührung geben.

Aber Sie hatten doch sicherlich mal einen Freund, den Sie berührt, mit dem Sie geschmust haben.

Ich war schon mal verliebt. Das war schön. Aber ich habe noch nie geküßt, und ich bin froh darüber. Ich hatte ein Angebot zum Heiraten, und wir haben uns näher kennengelernt – ohne körperlich in Berührung zu kommen; ich habe ihm auch nicht die Hand gegeben. Sex ist nicht nötig, es gibt auch geistige Zärtlichkeit. Und dann haben wir gemerkt, wir passen doch nicht zusammen. Wenn wir nun miteinander geschlafen, kurzfristig Gefühle füreinander entwickelt hätten – furchtbar.

Sie bleiben zu Hause, wenn andere junge Frauen ausgehen, flirten, Spaß haben. Reizt Sie das überhaupt nicht?

Kein Bedarf. Ich habe es nie bereut, nicht in Discos zu gehen. Ich kann den Krach nicht leiden. Aber ich bin eine normale Frau: Ich höre schon gern Musik, tanze gern, schminke mich, aber ich mache das halt daheim, mit Freundinnen.

Ihrem Glauben zuliebe unterwerfen Sie sich einem System voll rigider Regeln.

Ich finde Vorschriften sinnvoll, vor allem zwischen Mann und Frau. Die Frauen sind eine feinere, schönere Schöpfung.

Für die Mullahs im Iran sind die Frauen ganz einfach „Quelle des Bösen und Unreinen“, sie sind Wesen, die zu „satanischen Begierden“ verführen.

Das habe ich noch nie gehört. Ich will das nicht kommentieren. Die Frau muß sich in der Gesellschaft vor den Fremden schützen. Das ist noch eine ungesunde Gesellschaft. Für mich steht die Familie im Vordergrund. Sie ist etwas Heiliges. Sie muß geschützt werden. Und wenn ein Ehemann aus der Wohnung kommt und draußen so hübsche Frauen sieht, kommt er in Versuchung. Und damit sich da nichts entwickelt, muß die Frau sich verhüllen, darf nichts zeigen.

Der Mann ist ein Jäger, immer auf der Jagd nach Fleisch – ist das Ihr Männerbild?

Ich trage ein Kopftuch, um die Männer vor dieser Versuchung zu bewahren und sie nicht zu reizen.

Für die Schriftstellerin Taslima Nasrin ist eine wie Sie, die immer das Kopftuch trägt, „unfrei“ und mit ihrer Unterdrückung einverstanden.

Ach was. Vermittle ich Ihnen das Gefühl, daß ich unglücklich bin? Daß ich eine Gefangene bin? Ich habe keine Fesseln. Das Kopftuch macht mich frei.

Die kurdische Sozialpädagogin Arzu Tokur hat eine Wut auf das Kopftuch, „diesen Fetzen Stoff“, für sie ist er „Mißgeburt einer Ideologie, die Frauen verachtet“.

Das sind Vorurteile, haßerfüllte Polemiken. Für mich ist der Islam nur Liebe. Ich bedecke meinen Körper, und ich fühle mich wohl. Freiheit? Was heißt denn das für Sie? Offene Klamotten? Sex? Ich verstehe unter Freisein viel mehr, daß ich meine Persönlichkeit wirklich darstellen kann, unabhängig davon, ob ich schön bin oder häßlich, einen großen Busen habe oder einen kleinen. Das Äußere beeinflußt doch sehr, und meine wallenden Gewänder verhüllen, schützen. Auch das Kopftuch.

Als Chomeini im Iran an die Macht gekommen war, gingen zwanzigtausend Frauen in Teheran auf die Straßen: gegen die Einführung dieses Kopftuchs.

Ich sage es Ihnen nochmals: Das Kopftuch hilft uns Frauen. Mit ihm kann ich mich unter den Männern frei bewegen. Sie kommen dann nicht auf solche Gedanken...

Frauen, die sich zu verschleiern weigern, drohten ein Jahr Gefängnis oder siebzig Peitschenhiebe, hat der iranische Staatsanwalt Mussawi Tabrisi erklärt.

Ich bin kein Politiker. Ich rede nur von mir. Ich trage das Kopftuch freiwillig. Ein paar Verwandte von mir waren sogar dagegen, wollten mit mir hier in Hamburg nicht mehr spazierengehen, haben sich geschämt. Ich habe mich lange mit dem Koran beschäftigt, viele Bücher gelesen, und ich akzeptiere es. Es ist ein Zeichen, daß ich eine andere Gesellschaft will: ohne Pornographie, ohne Gewalt, voller Liebe.

Sie waren 13, als Sie beschlossen haben, sich nur noch mit Kopftuch auf der Straße zu bewegen. Was war das für ein Gefühl?

Es war komisch. Auch ich habe mich ein bißchen geschämt, weil mich die Leute hier in Deutschland so schief angeschaut haben. Manche haben gegrinst. Und in der U-Bahn werde ich von Rechten angepöbelt.

Für Necia, eine junge Türkin, ist das Leben mit dem Kopftuch ein Martyrium. Überall sieht sie nur Augen: „Sie glotzen mich an wie eine Außerirdische – ich hasse das.“

Weil die Leute nicht wissen, was der Islam ist. Da sind lauter Vorurteile. Islam heißt für sie oft nur töten, getötet werden, schrecklich ist das. Mein Gott ist ein liebevoller Gott. Sie haben Ängste vor uns, weil die Aufklärung leider Gottes fehlt. Und das war auch für mich ein Problem: Als Muslimin wächst du hier mit zwei Identitäten auf. Irgendwann mußt du dich für eine Kultur entscheiden, und das ist schmerzhaft. Das zerreißt dich beinahe.

Eine Zerreißprobe, die das Leben zerstören kann. Ihre schreckliche Zeit, so hat es eine türkische Schülerin anonym in der FAZ beschrieben, habe „mit der Pubertät“ begonnen. Sie wurde „immer stärker unter Verschluß gehalten“, „von Jungs“ mußte sie sich fernhalten, auf ihre „Jungfräulichkeit achten“. Sie bekam einen Haß auf den Koran, wurde depressiv, „der Freitod schien mir die beste, die einzige Lösung“.

So etwas ist sehr schlimm. Aber ich glaube nicht, daß sie ein Opfer des Korans ist. Was ist da türkische Tradition? Was sind veraltete Sitten? Unwissenheit? Es wird immer nur Negatives über meinen Glauben berichtet. So erlebe ich den Islam nicht. Er gibt mir Kraft, in ihm ruhe ich. Und was ist denn mit den deutschen Mädchen, die heranwachsen? Lachen die nur? Ich fühle mich da stärker, ihnen vielleicht sogar überlegen: Mein Glaube hilft mir, für mich hat Sex nicht diese irre Bedeutung. Ich will nicht, wie ich es von deutschen Mädchen her kenne, nachts im Bett liegen und heulen, weil mich dieser oder jener verlassen hat. Die fallen auf die Nase für ein schnelles Abenteuer und haben psychische Wunden, weil sie eine Nacht mit einem Mann verbracht haben. So läuft das doch bei euch. So will ich nicht ausgenutzt werden.

Und Sie werden es eben doch. Im Islam gibt es unzählige Gebote, die die Frau diskriminieren. Für Dschihan as Sadat, die Witwe des ermordeten ägyptischen Staatspräsidenten, sind die Teile der islamischen Praxis für die Frauen „eine grauenvolle Erniedrigung“.

Wir können jetzt nicht die Geschichte der islamischen Länder aufarbeiten. Es gibt noch kein Land, wo der wirkliche Islam herrscht. Und oft wird der Koran nur von Männern ausgelegt. Da sind viele falsche Interpretationen dabei. Aber ich lasse mich nicht unterdrücken. Ich kenne meine islamischen Rechte. Es gibt aber auch Gebote, die einfach akzeptiert werden müssen, weil wir erst auf dem Weg zu einer reinen Gesellschaft sind. Eine wichtige Regel ist, daß die Frau sich vor fremden Männern bedeckt. Die Kleider müssen weit sein, ich kann meine Augen zeigen, die Hände, die Füße aber nicht. Meine Figur soll man unter den Kleidern nicht erkennen, meine Haare dürfen Sie auch nicht sehen.

Was würde denn geschehen, wenn Sie jetzt einfach das Tuch abnähmen?

Das kommt nicht in Frage. Ich will kein Sexualobjekt sein. Für mich zählt, was ich im Kopf habe. Für mich ist das kein Erfolg, ein paar Schritte zu gehen und mich von allen Männern anstarren zu lassen.

Könnten Sie so etwas Einfaches machen wie, sagen wir mal, mit mir jetzt ins Schwimmbad gehen?

Das geht nicht, unmöglich. Aber ich kann dennoch tun, was ich will. Es gibt Fitneß-Studios nur für Frauen. Und es gibt Zeiten, wo die Bäder nur für Frauen geöffnet sind.

Aber man will doch Dinge gemeinsam erleben.

Wenn ich schwimmen gehe, will ich schwimmen, nicht flirten. Und dann läuft da alles nackt herum, das ist...

Furchtbar? Eine Sünde?

Sie sind ein Mann. Sie können das bestätigen: Wenn Sie eine Frau sehen, sehen Sie doch zuerst das Äußere: die Augen, den Mund, die schönen Haare, Beine. Wenn Sie das alles sehen, kommen Sie in Versuchung...

...und ich falle über Sie her?

Nein, nicht Sie. Ich sage nur, was im Koran steht: Die Frau muß sich vor so etwas schützen. Aber auch der Mann darf nicht aufreizen, auch er muß sich bedecken, darf keine Shorts anziehen, keine engen Hosen tragen, das Hemd darf er nicht bis hier unten aufhaben.

Das, mit Verlaub, sind ziemlich verschrobene Vorstellungen, die Sie haben von der Beziehung zwischen Mann und Frau.

Weshalb denn? In Ihrer Gesellschaft ist doch alles nur Begierde, Sex. Man muß nackt sein. Die ganze Werbung ist auf Sex abgestellt, die Frau ist das Objekt.

Gibt es einen Staat, der Ihrer Meinung nach auf dem richtigen Weg ist?

So eine Gesellschaft braucht viel Zeit. Es ist schwer, die falschen Einflüsse wegzudrängen und die falschen Traditionen zu besiegen, die wir noch haben. Ich denke, obwohl da noch lange nicht alles hundertprozentig stimmt: der Iran ist auf dem richtigen Weg.

Ein Staat, der mit den Frauen rüde umspringt...

...das stimmt doch nicht.

Seit der Machtübernahme durch Chomeini sind mehr als tausend Frauen gesteinigt worden – wegen Ehebruchs.

Todesstrafe für Ehebruch? Das ist nicht wahr. Wenn eine Frau Ehebruch begeht, dann müssen das zwei Männer bezeugen. Und dann kann man die Frau steinigen. Man zieht einen Kreis um sie und nimmt dann die Steine. Aber die sind so klein, daß man damit nicht einmal ein kleines Tier töten könnte. Und wenn ich verheiratet bin und mit einem anderen Mann ins Bett gehe, dann habe ich doch keine Zeugen dabei, oder irre ich mich da?

Soraya Manoutchehri war 35, hatte neun Kinder geboren und wurde als Ehebrecherin gesteinigt – von ihrem Vater, ihrem Mann, ihren Söhnen und den Männern ihres Dorfes im Namen Allahs.

Das befürworte ich nicht. Aber ich habe auch gesehen, wie bei uns Männer ausgepeitscht wurden wegen unehelicher Beziehungen. Die haben auch ihre Strafe bekommen.

Sie können doch nicht abstreiten, daß das islamische Recht die Frau benachteiligt: Vor Gericht zählt ihre Zeugenaussage nur halb soviel wie die eines Mannes.

Ich bin keine Gelehrte. Ich bin eine junge Muslimin, die ein paar Bücher gelesen hat. Für mich, mein Seelenheil, ist mein Glauben gut. Und ob das Recht in ein paar islamischen Staaten etwas mit dem Koran zu tun hat, ich glaube das nicht. Es gibt so viele Beispiele im Koran, wo es heißt, die Frau soll wie eine Rose behandelt werden. So fein, so zärtlich.

„Häng deine Peitsche da auf, wo die Frau sie sehen kann“ – das ist ein Spruch des Propheten.

Wo steht das? Welche Sure ist das? Was steht davor, was steht dahinter im Koran? Das ist eine Überlieferung, und ob die stimmt, weiß man nicht. Ich verstehe das nicht. Aber das hat mit meinem Islam nichts zu tun. Das sind Sprüche, die sind von Männern interpretiert, und da wird oft alles durcheinandergebracht: Kultur, Tradition, Vorurteile.

Ich bitte Sie: Der Koran ist gerade in der Frauenfrage eindeutig, etwa in der Sure 4,34: „Die Männer stehen über den Frauen, weil Gott sie ausgezeichnet hat... Und wenn ihr fürchtet, daß Frauen sich auflehnen, dann vermahnt sie, meidet sie im Ehebett und schlagt sie!“

Aber das heißt doch nicht, daß der Mann die Frau schlagen darf. Er soll sie verwarnen, wenn sie Fehler gemacht hat – einmal, zweimal, dreimal. Also mit ihr reden. Und wenn sie dann immer noch nicht hört, wird es ernster. Aber er darf sie nicht grün und blau schlagen.

Falls Sie einmal in einem islamischen Staat heiraten sollten, müssen Sie vielleicht Ihren Mann mit drei anderen Frauen teilen...

Wieso denn?

Weil der Islam es zuläßt, daß ein Mann vier Ehefrauen hat.

Das ist Unsinn. Das müssen Sie geschichtlich sehen. Das hat mit Krieg und der Versorgung von Frauen zu tun, damit sie mit ihren Kindern nicht auf der Straße liegen, oder wenn die Frau ihren Ehepflichten nicht nachkommt. Mein Mann könnte keine andere Frau neben mir haben. Das müßte ich ihm gestatten, und ich mache das nicht.

So einfach ist das wohl nicht.

Sie haben recht. Ich spreche oft mit muslimischen Männern darüber. Und da gibt es viele, die finden es richtig gut, mehrere Frauen zu haben. Sie wollen die Frau unterdrücken, das ist auch die Tradition. Aber im Koran heißt es, der Mann muß all seinen Frauen gerecht werden. Und ist das möglich? Ich glaube nicht. Also kann einer nur eine Frau haben.

Und mit der kann er umspringen, wie er will. Er kann sie sogar, wenn er will, verstoßen, muß nur dreimal sagen: „Über dich die Verstoßung!“

Aber das stimmt doch nicht. Der Mann muß im Islam für die Frau sorgen und sie ernähren – sogar wenn er weniger verdient als die Frau.

Sie erinnern an eine Chinesin, die um die Jahrhundertwende begründet, warum sie sich frei fühlt – obwohl ihre Füße so eingeschnürt sind, daß sie nicht gehen kann.

Akzeptieren Sie es doch: Der Islam, wie ich ihn erlebe, befreit mich. Es gibt Überlieferungen, Sprüche, von Männern interpretiert, die falsch sind. Manches, was in arabischen Ländern passiert, etwa im Jemen oder so, hat für mich nichts mit dem Islam und der guten reinen Gesellschaft zu tun, die ich will: ohne Pornographie, ohne Gewalt.

Frau Amin, Sie sind nun 23...

...und ich bin eine ganz normale Frau. Ein bißchen anders als ihr im Westen, aber das macht doch nichts, oder? Ich bin ein Mensch wie jeder andere.

Mit Träumen vom großen Glück?

Aber sicher doch. Ich träume auch von der großen Liebe. Und ich kriege auch noch meinen Mann – ohne vorher etwas mit einem anderen gehabt zu haben. Da muß man nicht üben. Es gibt so viele Beispiele, wo das geklappt hat. Warum also nicht bei mir? Wenn ich die Richtige bin und er der Richtige für mich ist, dann wird alles gut. Und nach der Heirat können wir uns dann berühren, Tag und Nacht – bis wir satt sind.

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