Ohrfeige für die Polizei

■ Zum Freispruch von O. J. Simpson in Los Angeles

Was genau die zwölf Geschworenen zu diesem Urteil bewogen hat, wird man vermutlich erst in den nächsten Tagen und Wochen herausfinden, wenn die ersten Beteiligten ihre Talk- Show-Tournee beginnen oder Buch- und Zeitschriftenverträge abschließen. Auf den ersten Blick scheint der Freispruch getreu die polarisierte Stimmung in der Öffentlichkeit widerzuspiegeln: Die Mehrheit der weißen Amerikaner war von Beginn an von Simpsons Schuld, die Mehrheit der schwarzen Amerikaner von seiner Unschuld überzeugt. In der Jury wiederum stellten neun Afroamerikaner die Mehrheit.

Doch erstens wurde der Urteilsspruch einstimmig erzielt, und zweitens hatte sich die Staatsanwaltschaft im Verlauf dieses Mammutprozesses in Los Angeles genügend Blößen gegeben, um auch bei solchen Zweifel zu säen, die O. J. Simpson im schwarzweißen Wahrnehmungsraster nicht automatisch als Opfer einer rassistischen Polizeiverschwörung sahen.

Vorerst also kann dieser Freispruch für Simpson als eine flammende Ohrfeige gegen das „Los Angeles Police Department“ gewertet werden. Dessen Starzeuge Mark Fuhrman entpuppte sich vor Gericht als der Rassist mit Polizeiausweis, dem zu begegnen für die meisten Schwarzen immer noch die Regel und nicht die Ausnahme ist. So ist auch der Jubel zu deuten, der in schwarzen Kirchengemeinden und den „inner cities“ ausbrach, als der Freispruch verlesen wurde. Viele sind keineswegs von Orental James Simpsons Unschuld überzeugt, doch das hält die Menschen nicht davon ab, in ihm gleichzeitig das Opfer einer rassistischen Polizeiverschwörung zu sehen. Es gehört sicherlich zu den degoutanten Folgen dieses Prozesses, daß O. J. Simpson auf diese Weise die Reputation eines Märtyrers erhalten hat.

Egal, wie man zu dem Urteil steht: Hoffen kann man nur, daß die Polizei – und nicht nur die in Los Angeles – endlich die Konsequenzen zieht, die man trotz aller Reformkommissionen und Versprechungen nach dem Rodney- King-Verfahren nicht gezogen hat: Ein kompromißloses Vorgehen gegen weiße Männerbünde im allgemeinen und gegen die Mark Fuhrmans im besonderen.

Bis dahin bleibt zu konstatieren: Dieser „Prozeß des Jahrhunderts“ dürfte den Zynismus der Amerikaner über den Zustand ihres Polizei- und Justizwesens noch vergrößert haben – allerdings für Schwarze aus völlig anderen Gründen als für Weiße. Andrea Böhm, Washington