: Hosen- und Fliegenträgerinnen
Nach dem richtigen Mann und der richtigen Frau ist auch die richtige Lesbe in die Krise geraten. Über ein Symposium zur Lesbenforschung ■ Von Viola Roggenkamp
Nicht wer ist eine, sondern was ist eine Lesbe? Das beschäftigte rund 120 lesbische Lesbenforscherinnen und Studentinnen aus der Schweiz, Österreich und Deutschland auf dem Symposium: „Das letzte Geschlecht“. Dazu waren sie nach Hamburg gekommen.
Daß die Entwicklung zu Frau und Mann kein anatomisches Schicksal ist, sondern ein Weg zwischen Annäherung und Differenz der beiden Geschlechter, das beschäftigt seit einigen Jahren feministische Wissenschaftlerinnen der westlichen Welt. Was ist eine richtige Frau, was ist ein richtiger Mann? Vor diesem Hintergrund ist nun auch die Lesbe in die Krise geraten. Was ist sie? Wie ist sie? Wie wurde sie? Darüber sprachen Historikerinnen, Linguistinnen, Soziologinnen, Psychologinnen, Pädagoginnen, Ethnologinnen und und und. Ein Drittel von ihnen inzwischen mit Universitätsanbindung – davon die Hälfte explizit in der Lesbenforschung, ein Drittel frei, ein Drittel studierend.
Warum die Kategorie „Lesbe“ diskutiert wird, darauf zu antworten scheint einfach. Wenn die klischeehaften Begrenzungen der Kategorie „Lesbe“ genau wie die der heterosexuellen „Frau“ in Frage gestellt werden, dann könnte es eine Umverteilung geben. Das weckt Hoffnungen auf mehr Raum, mehr Einfluß, mehr Macht. Daß nicht alle Lesben gleiche Interessen haben und gleich aussehen müssen, ist ein schlichter Gedanke, war aber nie selbstverständlich.
Sind die Merkmale zur Wahrnehmung von lesbisch und die Möglichkeiten, als lesbisch wahrgenommen zu werden, vielfältiger, dann könnten sich auch mehr Frauen der Kategorie „Lesbe“ zuordnen, dauerhaft oder sporadisch: Neben der tradierten Subbevölkerung butch (die Frau, die als Mann auftritt) und femme (die Frau, die al Hetera begehrt sein will) wären etwa auch einzelne Angehörige katholischer Bildungsstätten Lesben, oder Mannequins – da sie sich für Frauen schön machen – ganz einfach als Angehörige eines lesbischen Berufes. Ebenso Besucherinnen von Frauendampfbädern, für die ihr Saunatag ihr Lesbentag wäre. Absurd? Erinnern wir uns daran, daß im Internationalen Jahr der Frau 1975 die israelische Ministerpräsidentin Golda Meir allen Ernstes zum „Mann des Jahres“ ernannt wurde. Das war als zeitlich begrenzte Auszeichnung gedacht.
Der Wunsch nach Definition ist der nach Eigenem und nach Fremdem. Es ist der Wunsch nach Zugehörigkeit und nach Unterscheidung. Das Interesse innerhalb der Lesbenforschung nach Neudefinition der eigenen Kategorie scheint weniger der Wunsch nach strenger Abgrenzung von anderen zu sein als vielmehr der nach Wiedereinbeziehung. – Von was? Es geht um die zwei anderen Kategorien: um den Blick auf den Mann genauso wie um die Sehnsucht nach der Frau.
„Das Frauenpaar ist das erste in der Kunstgeschichte der Menschheit dargestellte Paar.“ Dieser schlichte Satz der Wissenschaftlerin Gabriele Meixner ist das Ergebnis ihrer etwa zehnjährigen urgeschichtlichen Forschungsarbeit, die jetzt als Buch vorliegt (siehe unten). Die ersten menschlichen Darstellungen vor über 12.000 Jahren zeigen Tänzerinnen paarweise. Meixner bezweifelt, daß für frühe Gemeinschaften „das Heteropaar die Kernzelle bildete“. Vielmehr scheint ihr „die weib-weibliche Bindung Grundelement früher Gesellschaften“ gewesen zu sein.
Die Ausgrenzung der Lesbe als der störenden Dritten innerhalb der heterosexuellen Gesellschaft unserer Zeit nahmen – wie auf anderen Ebenen so in der Medizin, der Geschichte und der Ethik – viele Männer, aber auch Frauen vor. Wie reagierten emanzipierte Frauen um 1900 auf Diffamierungen als „Mannweiber“ und auf Verdächtigungen der „Krankhaftigkeit“ lesbischer Liebe? „Es fällt auf“, so die Historikerin Kathrin Schmersahl, Hamburg, daß zwar „der Vorwurf der ,Vermännlichung‘ als antifeministische Strategie entlarvt wurde und Frauen die als ,männlich‘ definierten Eigenschaften souverän für sich in Anspruch nahmen. Dagegen schien es um so notwendiger, sich von dem damit verbundenen Verdacht einer ,conträrsexuellen‘ Neigung abzugrenzen.“ Daß unter diesen sich vorsorglich abgrenzenden Frauen beide Kategorien vertreten waren – „Frau“ wie „Lesbe“ –, ist eine bis heute gültige Erfahrung.
Das Spiel mit der Eingeschlechtlichkeit
Es gab bei einigen lesbischen Tagungsteilnehmerinnen die Neigung, die von Historikerin Schmersahl zitierte medizinische Literatur des 19. Jahrhunderts partiell als ein Denkangebot zu nehmen für eine von den Kategorien „Frau“ und „Mann“ losgelöste Geschlechtsdefinition. Da hatten nämlich Mediziner den menschlichen Körper beschrieben, ohne die Nennung von Brüsten und Regelblutung. Diese Männer hatten den weiblichen Körper einfach beschnitten und damit in ihren Forschungen die Frau nicht bloß als Kategorie ausgelöscht. Die Verstümmelung des weiblichen Körpers und die Vernichtung weiblicher Potenz im männlichen Denkansatz (hier des christlichen Abendlandes) geschah aus kaum verhohlener Frauenfeindlichkeit und aus Männerneid auf die sichtbaren Möglichkeiten der Frau. Vorgeschoben waren die Gründe der Prüderie in diesem sogenannten Viktorianischen Zeitalter.
Aus welchen Gründen fragt heute die Wissenschaftlerin Sabine Hark: „Will Girls Be Boys?“ Ablehnung von Weiblichkeit am eigenen Körper? Transvestitismus? Transsexualismus? Lust an Irrungen und Wirrungen? Lust an der Konkurrenz mit der Kategorie „Mann“? Um im Gegenzug den männlichen Körper verschwinden zu lassen? Lust an der Auflösung von allem? Alles zu sein? Mehr war nicht zu erkennen. Sabine Hark selbst kam in Hosenträgern und Fliege. Und da wir gerade dabei sind: Alle kamen in Hosen. Dreimal war an diesem vergangenen Wochenende ein Rock, einmal ein Kleid zu sehen. Kleidung ist kategorisch zugeordnet. Mit Kleidung läßt sich augenfällig am einfachsten eine Geschlechtskategorie demontieren. Einzelne Stücke aus einem anderen Kleiderschrank herauszunehmen kann dem Raub von kategoriefremden Geschlechtsmerkmalen gleichkommen. Und das kann sehr befriedigend sein.
Neben der vieldiskutierten amerikanischen Philosophin Judith Butler, die vom Körpergeschlecht als „normativem Phantasma“ spricht, werden in der deutschsprachigen Lesbenforschung die ebenfalls amerikanischen Psychoanalytikerinnen Jessica Benjamin und Irene Fast viel zuwenig rezipiert. Das ist ein großer Fehler. Die nahezu kategorische Verwerfung von Psychoanalyse und ihren Möglichkeiten begründet sich in der Ablehnung der Arbeit von einzelnen Personen und deren frauenfeindlichen Strategien innerhalb dieser Wissenschaft. Jedoch bleibt dadurch dieser große Denkraum zur Erforschung der Entwicklung eines wie auch immer anatomisch gebauten Menschen in der Lesbenforschung und auch in weiten Teilen der feministischen Frauenforschung verschlossen und tabuisiert. Das ist einfach schade und obendrein ein dummer Verzicht. Psychoanalyse als Instrumentarium kann in allen Wissensbereichen Klarheiten durch fühl- und benennbare Zusammenhänge schaffen. Damit wäre dem Sprachverhalten der drei Kategorien „Lesbe“, „Frau“, „Mann“ beizukommen. Die beiden Linguistinnen Silka Martens und Michaela Blomberg von der FU Berlin stellten ihr Projekt „Lesbische Identität und Sprache“ vor. Die „Versuchslesbe“ im Dialog mit einem Mann, einer Hetero-Frau und einer Lesbe. Sie hätten keinen „repräsentativen Anspruch“, sagten die beiden Forscherinnen vorsorglich vorweg, „aber Deutungen seien zulässig“. Graphische Tortenstücke demonstrierten, daß die Lesbe im Gespräch mit der Hetera verbal gleich viel (sogar noch etwas mehr!) Platz einnahm wie der Mann im Gespräch mit der Hetera. Graphische Linien zeigten, daß die Lesbe im Gespräch mit dem Mann ihm noch mehr unterstützende „Mhms“ gegeben hatte als der Hetera und (!) als die Hetera dem Mann. Nahezu eintönig und ohne Reibung war die Dialogprobe Versuchslesbe-Lesbe. Am erfreulichsten dagegen die Paarung Lesbe- Frau: Die Hetera hatte sich im Dialog mit der dominanten Versuchslesbe durch hineingreifende Unterbrechungen überhaupt nicht angepaßt. Schöne Aussichten von Kategorie zu Kategorie.
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