: Ende der atomaren Ignoranz
Le Monde schlägt der französischen Regierung Risiko-Studien zu den Atomtests um die Ohren, die im Ausland lange veröffentlicht sind ■ Von Hermann-Josef Tenhagen
Berlin (taz) – Seit gestern muß auch Jacques Chiracs Mannschaft im Elysee-Palast zur Kenntnis nehmen, daß die eigenen Atomtests auf dem Moruroa-Atoll für Mensch und Umwelt nicht so harmlos sind, wie der Präsident gern vorgibt. Die renommierte Zeitung Le Monde faßte in einer Titelgeschichte die geologischen Risiken der Atomtests auf der südpazifischen Insel zusammen. Als streng geheim präsentierte die Zeitung dabei auch 15 Jahre alte Militärkarten über Risse in dem Atoll. Diese Karte würde die Befürchtungen „großer Teile der internationalen Wissenschaft“ über die Rissigkeit des Atolls bestätigen.
Allzu geheim war diese Karte aber schon länger nicht mehr: Greenpeace hatte sie mit den Materialien zur Atomtestkampagne schon im Juni in alle Welt verschickt. Le Monde-Autor Jean- Paul Besset faßt unter der Überschrift „Moruroa birgt tiefe Risse“ zusammen, was in den vergangenen Monaten in der internationalen Presse und in Wissenschaftsmagazinen über die Gefährdung des Atolls zu lesen war.
Erstens: Die Karte beweist: Schon im Juni 1980 wußten die Militärs über tiefe Risse im südlichen Kraterrand des erloschenen Vulkans Moruroa Bescheid. Trotzdem wurden seither über 100 Bomben im Gestein des Inselrings gezündet. Zudem weist die „Geheimkarte“ Längsrisse von bis zu 8.500 Meter Länge und bis zu 3,5 Meter Breite im Norden des Atolls auf. Ebenfalls im Norden der Insel zeigt die Karte eine „stark verstrahlte Zone“, die aparterweise durch eine Reihe von schwarzen Kreuzen auf weißem Untergrund kenntlich gemacht wird.
Zweitens: Mehrere Untersuchungsteams, die in den Jahren 1982, 1983 und 1987 das Archipel untersuchten, durften immer nur kurz bleiben und nicht alle notwendigen Daten erheben. Trotzdem warnten sie – darunter Ozeanograph Jacques Cousteau – vor dem unkontrollierten atomaren Endlager Moruroa. Das Atoll sei „das denkbar schlechteste Endlager für Atommüll“, so Cousteau damals in seinem Bericht.
Drittens: Ein 15köpfiges australisches Wissenschaftlerteam hatte im August in einer Studie gewarnt, das Atoll werde „durch die Atomtests beeinträchtigt“. Das Langzeitrisiko dieser Tests sei bedeutend, teilten die Wissenschaftler den Umweltministern der Südpazifikregion mit.
Viertens: Ein Untersuchungsteam der EU-Kommission durfte Teile des Atolls, die es nach dem ersten Atomtest besichtigen wollte, nicht besuchen. Auch durften die EU-Experten das benachbarte Fangataufa-Atoll, auf dem am Montag der zweite, viel größere Test der derzeitigen Serie stattfand, nicht besichtigen.
Fünftens: Das Test-Atoll liegt auf einem erloschenen Vulkan. Das Spielen mit einem solchen Vulkan kann hochgradig gefährlich sein. Le Monde selbst hatte schon am 12. Juli den Leiter des Vulkanforschungsinstituts in Clermont-Ferrand, Pierre Vincent, mit den Worten zitiert, die Risse durch die Tests könnten den erloschenen Vulkan zu neuem Leben erwecken und so zu einer katastrophalen Explosion führen. Große Mengen Radioaktivität würden ungehindert ins Meer freigesetzt. Ähnliche Befürchtungen äußerten inzwischen auch britische Geologen. Colin Summerhayes vom Institut für Ozeanographie erklärte dem britischen Independent, daß „solche vulkanischen Inseln inhärent unstabil sind und zerbrechen können. Dazu braucht es nur einen Anlaß wie ein großes Erdbeben oder einen großen Atombombentest“. Ein solches Zerbrechen würde zu einem großen Erdrutsch unter der Meeresoberfläche führen mit einer anschließenden Springflut, die mit ihrer zerstörerischen Wirkung auch andere Inseln erreichen könnte.
Das französische Verteidigungsministerium bestritt die Existenz der Risse nicht, erklärte aber, die Situation werde „wissenschaftlich und ökologisch perfekt beherrscht“. Das Militär hatte in den vergangenen Jahren einige der Risse mit Beton zuzuschmieren begonnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen