: ...und der Mond verhüllte schamvoll sein Haupt
■ Im DFB-Pokal weckte der SC Freiburg zwar die vorübergehend entschlummerte Begeisterung seiner Fans, verlor aber dennoch trotz vieler Torchancen gegen Borussia Dortmund mit 0:1 nach Verlängerung
Freiburg (taz) – Das Wetteramt hatte Verwunderliches gemeldet. 25,4 Grad Celsius waren gemessen worden. „Der erste Sommertag seit dem 23. August“ beschieden die Meteorologen. Na also. Der grassierende badische Skeptizismus war in einen wunderhübschen Konter gelaufen. Da die Quelle des wenig hoffnungsvollen badischen Blicks in die Zukunft sich aus der tiefen Sehnsucht nach solchen Kontern nährt, standen die Zeichen also nicht übel. Warum sollte nicht in lauer Herbstabendstunde der Fußball mit dem Wettergott mal wieder gemeinsame Sache machen?
Es kam natürlich anders. Ganz anders. So anders, daß nachher wieder mal keiner heimgehen wollte. Obwohl der Kick nicht nur mit fünf Minuten Verspätung angefangen hatte, sondern danach satte 120 Minuten dauerte. Deren 90 hatte es gedauert, bis das in den vergangenen Wochen ins Zweifeln geratene Freiburger Publikum sich endgültig sicher war. Dann aber gab es kein Halten mehr. 30 lange Verlängerungsminuten tönte ununterbrochen die aus 23.000 Kehlen gesungene Bestandsaufnahme der dargebotenen fußballerischen Leistungen: „Ihr seid besser als der BVB.“ Und nur durch die schnöde Tatsache, daß das zählbare Endergebnis diese Einschätzung nicht widerspiegelte, wollte man sich nach dem Schlußpfiff nicht mehr beirren lassen. Als Freiburgs Kicker eine Viertelstunde nach dem Abpfiff zum Auslaufen auf den Platz zurückkehrten, hatte die gesangliche Interpretation der Vorführungen von den noch immer gut gefüllten Rängen nur eine kleine zeitgemäße Variation erfahren: „Ihr wart besser als der BVB.“
Nur: Waren sie das wirklich? „Ich weiß nicht“, zeigte sich Freiburgs Libero Maximilian Heidenreich unentschieden. Matthias Sammer, sein Gegenüber auf Dortmunder Seite, wollte vor allem auch den eigenen Beitrag an hinreißenden 120 Freiburger Pokalminuten gewürdigt wissen: „Es gehören immer zwei Mannschaften zu einem Super-Spiel.“ Aber der hatte ja auch leicht reden.
Im Gegensatz zu Freiburgs Trainer Volker Finke, dessen zur Schau getragener Sarkasmus die in den Wochen der Erfolglosigkeit gewachsene Dünnhäutigkeit nur mühsam verbergen konnte: „Jetzt ist die Fußballwelt doch wieder in Ordnung. Die kleinen Freiburger kämpfen nur noch ums nackte Überleben in der Bundesliga und sind aus allen anderen Wettbewerben draußen.“ Daß Jungnationalspieler Jörg Heinrich („Eigentlich hätten wir gewinnen müssen“) mit seiner Analyse genauer lag, ist im erfolgsentwöhnten Sport-Club- Lager ein schwacher Trost. Auch wenn der rasante Formanstieg der letzten 14 Tage zumindest die Hoffnung auf bessere Zeiten wieder genährt hat. „Ein bißchen einfacher ist es jetzt schon“, machte Heinrich sich und den Seinen Mut, „wenn man sieht, daß es zumindest spielerisch wieder geht.“
Für das tragische Freiburger Ende des Pokal-Abends hatte mit Heiko Herrlich auch noch ein ehemaliger Sport-Club-Kicker gesorgt, der das beherrscht, was den Freiburgern derzeit am meisten abgeht: Tore schießen. Und als wüßte er, was seine Pflicht ist, sorgte der bekennende Christenmensch und Mittelstürmer nach dem Wasch- und Föngang für ein badisch-versöhnliches Ende des Abends. Immer noch war es wunderbar warm, als Heiko Herrlich seine verbalen Seifenblasen in den Nachthimmel blubberte, von seinem „Herz für Freiburg“ sprach und derlei mehr Unsinn, vor dem sich dann der Mond hinter einem kleinen schwarzen Wolkenvorhang versteckte. Ulrich Fuchs
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