Sanssouci: Nachschlag
■ Nackte, so oder so – zwei Theaterpremieren dieser Woche
Alles, was der Osten schon immer von diesem Jahrhundert wissen wollte, wird derzeit im Maxim Gorki Theater verhandelt. Am Ende von Gorkis „Kinder der Sonne“ blickt man in K. D. Schmidts Inszenierung gemeinsam mit ratlosen Gutsbesitzern in den blutorangen Himmel der beginnenden Revolution. Dieser Himmel ist nun in Tony Kushners „Slawen!“ mit dem Scheitern des sozialistischen Experiments ganz grau geworden, und ein gewisser Prelapsarianow (sic!), der als ältester Bolschewik der Welt verstorben ist, stellt von dort aus Lenins Frage: „Was tun?“. Kushners Stück, das in der Regie Uwe Eric Laufenbergs letzten Sonntag Premiere hatte, hält höchstens eine zynische Antwort bereit. Zwischen den Betonköpfen des ZK im ersten und dem Neufaschisten im dritten Akt gibt es als einzige Hoffnungsträgerinnen ein lesbisches Liebespaar. Allein diese Beziehung überdauert die Wende vom Sozialismus zum Kapitalismus, und doch negiert sie die Zukunft radikal: Nachkommen ausgeschlossen.
Der 39jährige Amerikaner Kushner, der für sein Aids-Stück „Engel in Amerika“ den Pulitzerpreis erhielt, schreibt Zeitstücke. Teils schrille, teils allzu platte gesellschaftskritische Tableaus, denen durch mystische Momente und homosexuelle Romantik Poesie verliehen werden soll. „Slawen!“ spielt im Kreml im März 1985, im Moskauer „Gehirninstitut“ (wo die Gehirne der Parteigrößen aufbewahrt werden) und in Sibirien 1992. Gezeigt werden trottelige Parteigreise, aufbegehrende Delegierte, die Liebe eines Apparatschiks zu einer versoffenen jungen Frau, deren Liebe zu einer Kinderärztin, die in Sibirien die krebskranken Kinder der verstrahlten Umgebung behandelt, sowie beginnender Nationalismus. Das Stück analysiert nichts, sondern will das Geschehen in diesem Teil der Welt schlicht plakatieren.
Die deutsche Erstaufführung hatte K. D. Schmidt im Frühjahr in Hannover inszeniert, im MGT kam das Stück in die Hände des 35jährigen Uwe Eric Laufenberg, der hier damit sein Regiedebüt gibt. Mit einem Teil des angestammten Ensembles zeigt er sich deutlich spielerischer als Schmidt mit etlichen Neuengagierten in „Kinder der Sonne“. Ohne falsch zu psychologisieren, packt er das Ganze von seiner Holzschnittseite her an. Vom Schlurfballett der Politgreise über die Plazierung wütender Delegierter im Publikum bis zur lesbischen Verführungsszene (Hautkontakt!) geht Laufenberg recht souverän grinsend mit dem Stück um. Zum Vergnügen des Publikums spielt Ex-Intendant Albert Hetterle die Rolle des „letzten lebenden Bolschewiken der Welt“, und Hansjürgen Hürrig hat als liebend-lächerlicher Maso-Apparatschik eine tolle Szene, in der er zeigt, daß sich auch eine sofort durchschaubare Figur schichtweise noch entblößen läßt.
Wieder am 8. und 10. 10., 19.30 Uhr, Unter den Linden, Mitte
Michael Maertens als Prinz Homburg Foto: D. Baltzer/Sequenz
Standesbewußtsein und andere schlechte Angewohnheiten verhüllen dagegen den Prinz Friedrich von Homburg, den Kleist als Bühnenfigur um 1810 erfand. Zuweilen präsentiert sich aber auch er (der Prinz) sympathisch nackt. Zwischen Traum und Wirklichkeit variabel angesiedelt, gehört dieses Stück dennoch zu denen, die man in den Spielplänen gern vermißt. Warum das so ist, hat Jürgen Gosch am Donnerstag im Deutschen Theater wieder bewiesen. Der 52jährige Regisseur, der 1980 aus der DDR ausreiste und 1988/89 künstlerischer Leiter der Schaubühne war, arbeitet seit zwei Jahren als Gast am DT. Er zeigt Klassiker meist buchstabengetreu was mal mehr, mal minder ironisch wirkt. Hier minder. Konservatorisch vorgeführt, wird „Prinz Friedrich von Homburg“ sofort zum Ärgernis, denn der Stückmoral entsprechend liegt das Glück des Individuums darin, sich dem Gesetz zu unterwerfen. Kleist wollte sich damit wohl bei Hofe anbiedern – was aber könnte man heute damit wollen?
Schwarz ist der Sand der Mark Brandenburg in Johannes Schütz Ausstattung, schwarz die zur Kammer verhängte Bühne, beleuchtet nur von einer Glühbirne. Das ist ein schlichter und verheißungsvoller Raum, den Gosch jedoch nur als Etui seines statischen Deklamations-Theaters nutzt. Michael Maertens spielt den traumwandelnden Prinzen, siegreich in der Schlacht, aber undiszipliniert. Vom Kriegsgericht wird er deswegen zum Tode verurteilt, doch als er sich beklagt, stellt ihm der Fürst seine Begnadigung anheim. Da nun erwacht der wahre Soldat im Prinzen, er will für sein Vergehen wider die Ordnung sterben, woraufhin er erst recht begnadigt und erneut in die Schlacht geschickt wird. Maertens spielt ganz den kleinen Jungen: süß statt heroisch, erbärmlich statt verzweifelt und noch in Siegerpose greinend. Doch im Alleingang kann er diesen Soldatenkitsch auch chargierend nicht diffamieren. Alle anderen – Dieter Mann, Otto Mellies oder jetzt neu: Jürgen Holtz – sind standbildlich museal. Am Ende steht der Hofstaat im Kreis, blickt auf den von seiner Begnadigung noch benommenen Prinzen und skandiert freudlos: „Zur Schlacht! Zum Sieg! Zum Sieg! In Staub mit allen Feinden Brandenburgs.“ Schauplatz Museum. „Lächerlich“, ruft ein Zuschauer, dann gibt es Applaus. Petra Kohse
Wieder am 15. 10., 19.30 Uhr, Schumannstraße 13 a, Mitte
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