: Großer Aufwand – (noch) kleiner Nutzen
■ Der BND überprüft vor allem die Telefongespräche „kleiner“ Leute. Gegen die verschlüsselten Botschaften der organisierten Kriminalität hat er kaum eine Chance
Der Datenschutzbeauftragte des Bundes, Joachim Jacob, war wohl der erste, der die Dimension der BND-Lauschereien offenlegte: „Nach Aussagen von Insidern muß damit gerechnet werden, daß täglich rund 4.000 Gespräche zur weitern Bearbeitung ausgewertet werden. Das bedeutet, daß zunächst in einem vorangegangenen Schritt mehrere hunderttausend Gespräche betroffener Bürger täglich aufgezeichnet werden.“ Das läßt sich leicht hochrechnen: Pro Jahr werden also mindestens 36 Millionen Gespräche aufgezeichnet, 1,46 Millionen davon werden zur weiteren Auswertung im Pullacher Dienst bearbeitet.
Die inhaltliche Kommunikationsauswertung erfolgt Jacob zufolge in mehreren Stufen. Als erster Schritt wird technisch ein Rasterabgleich mit einer „Wortbank“ durchgeführt, in die „Suchworte“ etwa zu den Bereichen Proliferation oder Rauschgift eingegeben sind. Diese Suchworte setzten die Aufzeichnung des Fernmeldeverkehrs in Gang. Und sie sind, versteht sich, Verschlußsache.
Die so ausgewählten Fernmeldeverbindungen werden dann in einer zweiten Stufe von BND-Mitarbeitern auf ihre konkrete Relevanz überprüft. So groß der in Pullach betriebene Aufwand auch ist, die Ergebnisse dürfen eher mager ausfallen. Im Rahmen einer Anhörung vor der Verabschiedung des Verbrechensbekämpfungsgesetzes hatte Jacob gewarnt, „daß der Ertrag der Fernmeldeaufklärung bei weitem nicht das bringt, was man sich erwartet...“ Jakob erwähnte verfügbare und leicht zu handhabende Verschlüsselungsverfahren: „Gerade die organisierte Kriminalität dürfte über eine Kommunikationsstruktur und -logistik verfügen, bei der anzunehmen ist, daß solche naheliegenden Schutzmechanismen genutzt werden. Wenn der ,Fang‘ also im wesentlichen nur aus kleinen Fischen bestehen wird, ist es meines Erachtens unangemessen, mit dem Kescher im Äther täglich in das Fernmeldegeheimnis Hunderttausender Unbeteiligter einzugreifen.“
Die Warnung nutzte nichts, die Kompetenzerweiterung für den BND wurde beschlossen. Und mit ihr wurde eine Regelung geschaffen, die das im Grundgesetz verfügte Trennungsgebot zwischen der Arbeit von Geheimdiensten und Strafverfolgungsbehörden an zentraler Stelle unterhöhlt.
Ein einziges Mal hat sich bisher öffentlich auch ein hoher BND- Beamter zur Lauscherei geäußert. Konteradmiral Gerhard Güllich, Leiter der technischen Aufklärung, sagte in einem Spiegel-Interview, in dem er vehement für die Ausweitung der Befugnisse seines Dienstes stritt: „Mit unserer ,Technischen Aufklärung‘ können wir Fernmeldeverkehr über Kurzwelle, Richtfunk und Satelliten empfangen, also alles, was nicht leitungsgebunden ist. Aus der Masse der Informationen filtern wir mit Hilfe von Wortbanksystemen das heraus, was für uns von Interesse ist und im Auftrag des Dienstes liegt. Die Erfassung läuft nach einem gewissen Zufallsprinzip – ich vergleiche es gerne mit einem Staubsauger im Äther.“
Und damit der Staubsauger nicht verstopft werden kann, zieht der Pullacher Dienst schon heute gegen mögliche Verschlüsselungen zu Felde. Er bedient sich dabei des „Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik“ (BSI), einer Einrichtung, die ursprünglich aus einer früheren Dechiffrierabteilung des BND hervorgegangen ist, aber offiziell eigenständig ist.
Nach Informationen des Leiters des Forschungsinstitutes für Friedenspolitik im oberbayerischen Weilheim, Erich Schmidt-Eenboom, wurde in den geheimen Beratungen des Haushaltskontrollausschusses für das Jahr 1994 die Beschaffung eines millionenteuren Analyse-Computers beschlossen. Die Anlage soll der Dechiffrierung des Fernmeldeverkehrs dienen. Bei der lebhaften Debatte im erlauchten Geheimgremium, berichtet Eenboom, habe die Präsidentin des Bundesrechnungshofes gegen sämtliche Abgeordnete für die Anschaffung der Anlage gestimmt. Der Fachmann, der für das BSI den Kaufantrag begründete, war ein alter Bekannter – der BND- Beamte Gerhard Güllich.
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