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Der Film zum Pyjama

P.c. bis in die Bauchfalten: „Pocahontas“, das neue Werk aus dem Hause Disney  ■ Von Thomas Pampuch

Wenn der Welt größte Media Company – und das ist die Disney Company, spätestens seit sie im August für 19,5 Milliarden Dollar CAPcities/ABC gekauft hat – in Europa einen blockbuster starten will, dann wird geklotzt. Seit Wochen schon geisterte der geheimnisvolle Name „Pocahontas“ in München herum. Seit Samstag wissen nun zumindest die 5.000 Ehrengäste des Freiluftspektakels im Olympiapark (darunter viele Kinder), was es damit auf sich hat.

Es handelt sich um ein Indianermädchen des frühen 17. Jahrhunderts vom Stamme der Powhatan, und wir gehen gewiß nicht fehl in der Weissagung, daß die aktuelle Elterngeneration der bis 0- bis 14jährigen die nächsten zwei, drei Jahre vom Lätzchen bis zum Pyjama vornehmlich Pocahontas- Kinderoutfit in die Wäschtrommel stecken wird. In Amerika, wo „Pocahontas“ im Mai vor zigtausend Leuten im Central Park uraufgeführt wurde, tut sie das bereits.

Nun hatte der Film zum Pyjama also in München seine Vorpremiere. Offizieller Deutschlandstart ist der 16. November. „Die größte Filmpremiere, die Deutschland je erlebt hat“, so der Verleih Buena Vista, fand auf einer 12 mal 24 Meter großen Leinwand statt, die man im See des Olympiaparks nebst einer Plattform installiert hatte, auf der die Münchner Symphoniker vor dem Film einige nette Weisen aus früheren Disneyfilmen spielten.

Roy Disney (der Neffe von Walt) war da, ebenso die Regisseure des neuen Werkes, Mike Gabriel und Eric Goldberg. Münchens Oberbürgermeister Ude sprach ein Grußwort, und auch Hildegard Knef, die im Film sehr überzeugend einer 400jährigen Weide ihre deutsche Stimme geliehen hat, schaute persönlich vorbei. 5.000 Sitzkissen plus Decken sowie waterproof vinyl all-purpose adult ponchos wurden verteilt, es gab ein VIP-Büffet, eine Kanuparade mit Fackeln und zum Schluß natürlich ein Feuerwerk. Kurz, ein event wie es die Landeshauptstadt (die in diesem Jahr weiß Gott bereits einiges an Großereignissen hinter sich hat) noch nicht gesehen hat. Roy Disney weigerte sich auf der Pressekonferenz denn auch standhaft, über die Kosten des Filmes oder gar seiner Promotion zu reden. In den USA, soviel war immerhin zu erfahren, soll „Pocahontas“ schon 175 Millionen Dollar eingespielt haben.

Amerikanischen Kids ist Pocahontas etwa so vertraut wie deutschen Kindern die Witwe Bolte oder Brunhilde (legendäre deutsche Frauengestalten haben nun mal leider andere Eigenschaften als amerikanische). Die wichtigste historische Quelle ist dabei ein gewisser John Smith, seines Zeichens Abenteurer und Gründer der Kolonie Jamestown in Virginia. Ob sich all das, was er 1624 – fast zwanzig Jahre nach dem Geschehen – über seine Rettung durch die junge Indianerin vor der Rache ihres Vaters geschrieben hat, wirklich genauso zugetragen hat, ist bei Historikern umstritten. Zweifellos aber ist es eine schöne und rührende Geschichte – auf sie beschränkt sich der Film.

Keine Legende ist, daß Pocahontas (1595 bis 1617) die Tochter eines mächtigen Powhatanhäuptlings war, und daß es ihr gelang, zwischen ihm und Smith zu vermitteln und wenigstens für eine Weile, Friede zwischen ihrem Volk und den frühen Kolonisten an der Chesapeake Bay zu stiften. Ihre wirkliche Liebesgeschichte scheint sie allerdings mit John Rolfe, dem ersten großen Tabakpflanzer Virginias, erlebt zu haben. Den jedenfalls heiratete sie später und besuchte mit ihm 1616 als „Lady Rebecca Rolfe“ den Hof von König James. Kurz vor der Heimreise erkrankte sie an Pocken und starb in englischen Seehafen Gravesend, wo sie auch begraben ist. Ihr Sohn Thomas Rolfe wurde später einer der führenden Politiker Virginias.

Es war abzusehen, daß sich die Walt Disney Pictures irgendwann einmal der kleinen Indianerin annehmen würde. Nachdem „Der König der Löwen“ immerhin das zweitbeste Einspielergebnis der Kinogeschichte erreicht hatte, war Großes gefragt. In den Disneystudios schwankte man eine Weile zwischen zwischen „Pecos Bill“ und „Romeo und Julia“, bis Mike Gabriel erkannte, daß er mit „Pocahontas“ beide Filme gleichzeitig machen und dabei auch noch eine schöne Botschaft rüberbringen konnte: „Wenn wir nicht lernen, miteinander umzugehen, dann werden wir uns gegenseitig zerstören.“ (Schließlich hat das Disney mit ABC selbst beherzigt.)

So bietet „Pocahontas“ alles, was ein abendfüllender Disneyfilm – immerhin der 33. des Hauses – Mitte der neunziger Jahre braucht: Die Liebe zwischen einem blonden Sigurd und einer Indianerin, das Aufeinandertreffen zweier Kulturen, einen rassistischen Kolonial- Finsterling, dessen Mops vernünftiger ist als er und der sein Fett wegbekommt, einen weisen Häuptling und viel, viel Natur. Dazu ist die Geschichte durch und durch amerikanisch und bietet Political correctness bis in die Bauchfalten des kleinen Waschbärs Meeko.

Meeko (Animation: Nik Ranieri) ist im übrigen zweifellos die lustigste und gelungenste Figur des Films und wird gewiß eine erfreuliche Sympathiewelle für Waschbären bei unseren Kleinen einleiten. Erfreulich deshalb, weil Meekos fröhliche Freßlust und die damit einhergehende Neugier vermutlich ein wirksameres Antidot gegen jede Art von Rassismus bilden als viele edle und verständnisvolle Worte über fremde Kulturen. Wer so überzeugend allein durch sein Wesen einen hochnäsigen britischen Mops dazu bringt, sich friedvoll einen Indianerponcho anzuziehen, hätte damit eigentlich den Friedenspreis des deutschen Buchhandels verdient.

Nicht alles freilich ist so preiswürdig in Pocahontas wie Meekos völkerverbindende Scherze. Denn auch wenn sich da 600 Leute vier Jahre noch so viel Mühe gegeben haben beim Menscheln (fast jede Figur wurde von einem eigenen Charakteranimationsteam entwickelt), zu den stärksten Szenen des Films kommt es immer dann, wenn die klassischen Disneyqualitäten ausgespielt werden: die Animation von Tieren und von Natur. Diesmal in gewissem Sinn sogar veredelt, denn – ungewöhnlich bei Disney – keines der Tiere spricht. Genau diese Beschränkung aber hat zu einer Verfeinerung der Körpersprache dieser Charaktere geführt, wie sie möpsischer und waschbäriger nicht sein könnte. Und auch der Kolibri Flit, als Pocahontas zweiter Freund eine Art Gegenspieler von Meeko, ist eine ganz köstliche Schöpfung.

Nicht, daß man sich bei den Dialogen keine Mühe gegeben hätte, nicht, daß die rund zwanzig Zweibeiner (insbesondere der Gouverneur Ratcliffe) nicht ab und zu hübsche Cartoonideen aufwiesen. Aber bisweilen fragt man sich, wieso eigentlich nicht Julia Roberts oder Winona Ryder Pocahontas spielen, und ob es nicht einfacher gewesen wäre, für John Smith Richard Gere zu blondieren. Wenn Trickfilmfiguren zu menschenähnlich werden, verlieren sie an Reiz. Ähnliches geschieht, wenn sie zu brav und edel sind (weshalb beispielsweise Mickeymaus verglichen mit Donald stets ein rechter Fadian war).

Pocahontas und John Smith rollen also zwar immer wieder recht anmutig mit den Augen und bringen es am Ende sogar zum sicherlich erotischsten Kuß der Disneygeschichte. Auch ihr Abschied – deutlich an die Dramaturgie vom not so happy end in „Casablanca“ angelehnt – ist recht eindrücklich. Interessanter und aufregender als sie sind aber fast immer die Landschaften, die Blätter, das Wasser und eben die Viecherl um sie herum. Ähnliches muß leider auch über die braven Krieger des Volkes der Powhatan berichtet werden, deren Häuptling unglückseligerweise auch noch eine irritierende Ähnlichkeit mit Meister Proper aufweist. Die Kameraperspektiven, die Hintergründe, die Farben, der Rhythmus und die Bewegungsabläufe der Figuren allerdings zeigen, daß die Disneystudios trotz Computeranimation nichts verlernt haben.

Filme für Kinder sollen und müssen synchronisiert werden. Insgesamt ist das bei Pocahontas nicht schlecht gelungen. Die Lieder allerdings sind in der deutschen Fassung ziemlich fürchterlich. Um von einem schönen „Just around the Riverbend“ zu einem holperigen „Was das nächste Ufer bringt“ zu kommen, muß der Übersetzer wohl so viele Biegungen gemacht haben, daß er sie schließlich für neue Ufer gehalten hat. Sind sie aber nicht.

„Safe and sane and very tame“ nannte Regisseur Gabriel die alte Disneyphilosophie. Bei „Pocahontas“ habe man das ein bißchen hinter sich lassen wollen. Mit Meeko im Kanu freut man sich jedenfalls auf jede neue Biegung des Flusses.

„Pocahontas“. Regie: Mike Gabriel, Eric Goldberg. Musik: Alan Menken. USA 1995

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