Nato-Generalsekretär in Nöten

Der belgische Generalstaatsanwalt will gegen Willy Claes Anklage erheben. Claes könnte doch noch über die Agusta-Schmiergeldzahlungen an die belgischen Sozialisten zu Fall geraten  ■ Aus Brüssel Alois Berger

Wenn der belgische Generalstaatsanwalt darauf drängt, Anklage zu erheben, dann sieht es auch für einen Nato-Generalsekretär nicht mehr gut aus. Nach Ansicht von Jacques Velu reichen die vorliegenden Beweise aus, um Nato-Chef Willy Claes wegen Korruption und Urkundenfälschung vor Gericht zu stellen. Claes hatte 1988/89 als belgischer Wirtschaftsminister maßgeblichen Anteil an zwei Rüstungsaufträgen an die italienische Firma Agusta und die französische Dassault, bei denen Schmiergelder in Millionenhöhe geflossen sind.

Seit der Generalstaatsanwalt des obersten Gerichtshofes am Freitag seine Anfrage bekannt gab, spekulieren belgische Zeitungen darüber, ob Claes von sich aus zurücktreten wird oder weiter darauf hofft, irgendwie davonzukommen. Claes selbst hat diese Frage so beantwortet, daß er völlig unschuldig sei.

Der flämische Sozialist baut offensichtlich weiter auf seine alten Freunde. Denn die Entscheidung, ob gegen Claes Anklage erhoben wird, liegt nun beim belgischen Parlament, das die Immunität des ehemaligen Wirtschaftsministers aufheben muß. Nach belgischem Recht gilt diese Immunität, die davor schützen soll, daß Politiker bei ihrer Amtausübung ständig durch juristische Nachstellungen behindert werden, auch über das Ende der Dienstzeit hinaus.

Morgen wird ein Sonderausschuß des Parlaments zusammentreffen, um über die Aufhebung der Immunität von Claes zu beraten. Das kann Wochen dauern, und erst danach wird das Parlament abstimmen. Nicht Juristen, sondern Politiker entscheiden also darüber, ob sich der Nato-Generalsekretär für seine frühere Amtszeit verantworten muß.

Die flämischen Sozialisten, Parteifreunde von Claes und zudem Nutznießer der damaligen Schmiergelder, haben bereits verlauten lassen, daß sie in dem vorgelegten Dossier des Staatsanwaltes nichts Neues gefunden hätten und deshalb nicht wüßten, warum man jetzt Anklage erheben sollte. Auch die wallonischen Sozialisten, die damals auch etwas vom Kuchen abbekommen haben, wollen die Sache noch genauer prüfen.

Es ist trotzdem davon auszugehen, daß eine Parlamentsmehrheit für die Aufhebung der Immunität stimmen wird. Immerhin ist es der belgische Generalstaatsanwalt, der die Anklage fordert. Seit die Affäre vor zweieinhalb Jahren ans Licht kam, haben vor allem die flämischen Sozialisten eine regelrechte Kampagne gegen die Staatsanwältin Véronique Ancia angefacht, die mit den Nachforschungen betraut war. Sie warfen ihr vor, als Provinzrichterin ihre Kompetenzen zu überschreiten und aus Gründen persönlicher Eitelkeit Jagd auf prominente Politiker zu machen.

2,5 Millionen Mark in die Taschen der Sozialisten

Dabei ist seit langem unbestritten, daß Schmiergelder geflossen sind. Der italienische Rüstungskonzern Agusta hat, nachdem er den Auftrag für den Bau von 46 Hubschraubern für die belgische Armee bekommen hatte, 2,5 Millionen Mark für die Parteikasse der flämischen Sozialisten gespendet, 700.000 Mark gingen an die wallonische sozialistische Partei.

Fest steht auch, daß die französische Flugzeugfirma Dassault für die Aufrüstung von F-16-Fliegern gezahlt hat. Umstritten ist nur noch, ob der damalige Wirtschaftsminister Claes von den Schmiergeldangeboten wußte, bevor er die Entscheidungen für die beiden Waffensysteme traf, oder ob er davon erst nachträglich erfuhr. Ursprünglich hatte Claes geleugnet, jemals von den Schmiergeldern gewußt zu haben, mußte aber dann einräumen, daß er als Wirtschaftsminister doch in verschiedene Geldgeschäfte eingeweiht war.

Der Staatsanwalt hält die Beweise für erdrückend, die Véronique Ancia zusammengetragen hat. Dabei verweist er auch auf die Aussage eines Agusta-Managers, der zufolge es damals völlig klar gewesen sei, daß belgische Rüstungsaufträge nur gegen Bestechung zu bekommen gewesen seien. Klar sei auch gewesen, daß es dabei zwei Schlüsselfiguren gab, den belgischen Verteidigungsminister – und Wirtschaftsminister Willy Claes.