piwik no script img

Eine „Cinq à sept“ gehört dazu

Untreue hat in Frankreich Tradition und schockiert keinen  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Zwischen fünf und sieben, wenn die Büros schon zugemacht haben, es für das familiäre Abendessen noch zu früh ist, wimmelt es in Paris von ihnen. Die cinq à sept, wie die heimlichen Paare in Frankreich heißen, halten Händchen in den Tuilerien, sitzen engumschlungen in den hinteren Räumen von Cafés oder mieten sich – mit Preisnachlaß, weil's nur „für einen Moment“ ist – ein Hotelzimmer in der Nähe einer Metrostation. Anschließend kehrt jede/r zu der offiziellen Beziehung zurück, von der sich nur wenige trennen wollen.

Wie die Journalistin Cécile Abdesselam, die ein Buch über das Thema veröffentlicht hat *, erfuhr, stellt eine Affäre nur selten die Hauptbeziehung in Frage. Im Gegenteil: Oft gleicht sie einen Mangel aus oder ist die einzige Möglichkeit, eine Trennung zu vermeiden. Auf ihre Kleinanzeige: „Fremdgänger gesucht“ meldeten sich zahlreiche Männer und Frauen, die gerne über ihr Doppelleben und über ihre Freuden und Sorgen dabei berichten wollten: vom heimlichen Sex mit dem früheren Ehemann, von versteckten Kindern und Entdeckungen. Es zeigte sich, daß Männer zwar weniger Probleme haben, darüber zu reden, daß aber auch Frauen nicht abgeneigt sind, fremdzugehen.

Da eine cinq à sept (wörtlich: zwischen fünf und sieben Uhr) gewöhnlich geheimgehalten wird, sind Umfragen naturgemäß nur begrenzt aussagekräftig. Aber sie zeigen immerhin an, daß die Bereitschaft, einem Demoskopen einen Seitensprung zu gestehen, stetig gestiegen ist. Ende der fünfziger Jahre gaben sieben Prozent der Befragten an, daß sie gelegentlich untreu seien; in den achtziger Jahren waren es 15 Prozent, und heute liegt die Zahl bei 20 Prozent.

Eine Mätresse wertet einen Mann eher auf

Zeitgemäß forschte die Testfrage der Neunziger nach „Mehrfachpartnerschaften“, während in den fünfziger Jahren nach „Untreue“ gesucht worden war, was damals unter Umständen noch als Delikt galt. Denn erst 1975 wurde in Frankreich der Ehebruch aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. Für Nadine Rothschild, einstige Varietétänzerin, die sich nach ihrer Eheschließung mit einem Herrn aus den besseren Kreisen auf Veröffentlichungen über gepflegte Umgangsformen spezialisiert hat, ist die Treue reine Fiktion. „Jeder Mann geht fremd“, sagte sie im Brustton der Überzeugung in einem Interview über das Eheleben der Franzosen. Tradition hat die Untreue in ihrem Land auf jeden Fall – zudem eine, deren Hinterlassenschaften nicht zu übersehen sind. Sie reichen von den Schlössern, die französische Könige ihren Mätressen an die Loire setzten, bis hin zu den immer noch populären Liebesbriefen schreibender Ehebrecher, wie die, die etwa Victor Hugo an seine Geliebte Juliette Drouet schrieb.

Das „Wer mit wem?“ ist auch im heutigen Frankreich ein beliebtes Thema. Man kennt die Namen der langjährigen Geliebten von Politikern und anderen öffentlichen Personen. So wußte in Paris jeder, der es wissen wollte, daß Ex- Präsident François Mitterrand eine Tochter aus einer nichtehelichen Beziehung hat. Als die Zeitschrift Paris Match vor einigen Monaten Fotos der jungen Frau veröffentlichte, trieb das zwar ihre Auflage für eine Woche in die schwindelerregende Höhe von 1,2 Millionen Exemplaren, doch schockiert zeigte sich von der „Enthüllung“ niemand. Das Privatleben, so die von den meisten Journalisten geteilte Überzeugung der Franzosen, geht niemanden etwas an. Viele Franzosen gehen in ihrem Respekt vor der Intimität des anderen sogar so weit, daß sie nicht einmal den besten Freund informieren würden, wenn sie dessen Frau in flagranti ertappten. Und außerdem ist ein Politiker, der seine Frau betrügt, deswegen noch lange nicht für seinen Job untauglich.

„In den Augen vieler Leute wertet eine Mätresse einen Mann eher auf“, gibt ein Psychoanalytiker zu bedenken, der von seinen Patienten, den männlichen zumal, oft über Affären hört. Beunruhigend findet er das nicht. „Untreue, das ist ein völlig banales Thema“, sagt er grinsend. „Oder will jemand ernsthaft behaupten, daß es das in Deutschland nicht gibt?“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen