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■ Die Große Koalition in Österreich steht vor dem AusSelbstmord aus Angst vor dem Tod

Österreichs Sozialdemokratie zählt zu den erfolgreichsten Parteien Europas. Seit mehr als einem Vierteljahrhundert stellt sie den Kanzler. Wer heute 35 Lebensjahre oder weniger zählt, hat bewußt nie eine andere Regierungskonstellation erlebt als eine sozialdemokratisch geführte. Selbst als – etwa ab Mitte der achtziger Jahre – die traditionellen Stabilitätssäulen der „Zweiten Republik“ ins Wanken gerieten, blieb die SPÖ stark. Jörg Haider startete seinen Aufstieg, die Christdemokratische Volkspartei sank immer tiefer in die Bedeutungslosigkeit, Kurt Waldheim amtierte – was blieb, was Stabilität verhieß, war die SPÖ. Im Windschatten ihres populären Vormannes Franz Vranitzky verteidigte die SPÖ bis in die neunziger Jahre ihre Mehrheit von 40 plus x Prozent.

Bis Vranitzkys Patina blätterte und die SPÖ bei den vergangenen Wahlen auf unter 35 Prozent sackte. Man hatte sich satt gesehen am Langzeit-Kanzler, jener hatte Politik eher geschehen lassen als gestaltet. Sozialdemokratie und Volkspartei hatten sich in der seit 1986 amtierenden Großen Koalition, die in Wahrheit bloß ein Anti-Haider-Pakt war, aufgerieben. Die Wahlen 1994 markierten den Wendepunkt.

Jetzt mußte die ÖVP, wollte sie nicht vollends untergehen, Profil zeigen – und ging auf sachten Rechtskurs. Die SPÖ, die unter Vranitzky zu einer der rechtesten Sozialdemokratien des Kontinents wurde, leitete ebenso eine Wende ein; in der Ausländer- und Sozialpolitik besann sie sich wieder auf eher „linke“ Positionen. Die Weichen für die Zeit nach Vranitzky wurden behutsam gestellt, neue Personen in Führungsämter gehievt, um die Chance auf einen abermaligen Sieg bei den regulären Wahlen 1998 zu wahren.

Nun dürfte die ÖVP, auch um dies zu vereiteln, die Koalition platzen lassen. Es sei denn, sie bekommt im letzten Moment Angst vor der eigenen Courage. Um nicht vollends unter die Räder zu kommen, scheint sie nun alles zu riskieren. Sie provoziert damit den Triumph von Haiders Freiheitlichen.

Das ist die Chance der SPÖ. Denn das Hasardspiel der Volkspartei macht deutlich, daß die SPÖ der einzige Stabilitätsgarant im Land ist. Und dieses Image war immerhin ein Jahrzehnt lang das Erfolgsrezept des Franz Vranitzky. Robert Misik

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