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Die Schlote rauchen, die Lobby wühlt

Die Chemiebranche gibt sich einen grünen Anstrich – doch die mächtigen Unternehmen bremsen in den Zeiten der globalen Arbeitsteilung alle Versuche zum ökologischen Umbau  ■ Von Reiner Metzger

Berlin (taz) – Bereits kurz nach 17.00 Uhr fällt der Druck in der Ludwigshafener BASF-Produktionsanlage für Polystyrol ab. Das Notsystem springt an. „Doch die Anlage ist nicht abgeschaltet worden“, so ein Werksingenieur. Zwei Stunden später gibt es einen erneuten Störfall. Doch diesmal ist der Tank, der die Heizflüssigkeit Diphyl (siehe Kasten) auffangen soll, bereits von der ersten Störung voll. Das zuständige Sicherheitsventil springt an, und 2.000 Kilogramm des ölartigen Stoffes werden in die Umwelt geblasen.

Damit ist wieder eine der drei Chemieriesen in die Schlagzeilen gekommen. Hoechst, Bayer und BASF liefern sich seit Jahrzehnten ein Kopf-an-Kopf-Rennen um die wirtschaftliche Führungsrolle. Hoechst lag 1994 beim Umsatz mit knapp 50 Milliarden Mark bei weltweit 165.700 Beschäftigten vor den Konkurrenten BASF (105.000 erwirtschaften 43,7 Milliarden) und Bayer (146.700, 43,3 Milliarden). Beim Gewinn nach Steuern führte jedoch Bayer mit zwei Milliarden Mark vor Hoechst (1,36) und BASF mit 1,2 Milliarden.

Die drei Großen bestimmen auch wesentlich den Kurs der deutschen chemischen Industrie. Sie ist der größte Exportmotor der Bundesrepublik. Im letzten Jahr betrug der Handelsüberschuß der Chemiebranche mit dem Ausland rund 35 Milliarden Mark, rund die Hälfte des positiven Saldos stammte damit aus einer Industrie. Mehr als eine halbe Million Menschen arbeiten in Deutschland für die Herstellung von Chemie und Pharma, da nehmen sich Branchen wie Stahl oder Luftfahrt wie Zwerge aus.

Seit die Chemieindustrie als einer der größten und vielleicht gefährlichster Umweltverschmutzer ins Gerede gekommen ist, versucht sie von diesem Image wegzukommen. Umweltberichte mit Fotos von Blümchenwiesen und gutbezahlte Umweltschutzbeauftragte sind die äußeren Zeichen. Doch hinter den Kulissen wurde schon immer versucht, unliebsame Gesetzesentwürfe abzumildern oder zu Fall zu bringen. Weil die Branche sehr viel Energie verbraucht, ist sie zum Beispiel vehement gegen eine Energiesteuer und droht im Falle einer solchen Ökosteuer mit der massiven Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland. „Im Gegensatz zu den erklärten Absichten bemüht sich die Chemieindustrie in jüngster Zeit sogar um ein Rollback der Umweltstandards“, meint das Hamburger Umweltinstitut (HUI). Dabei wäre schon der Status quo unhaltbar: Zu den derzeit bekannten 12 Millionen chemischen Stoffen kommen täglich 1.600 neue hinzu. In der EU werden über 100.000 Verbindungen gehandelt, aber nur einige hundert davon sind nach Angaben der HUI toxikologisch ansatzweise untersucht.

Das HUI fodert deshalb Sofortmaßnahmen für die Umsetzung einer Clean-Production, einer Produktion nach den Maßstäben einer nachhaltigen Entwicklung. Stoffe und Fertigungsmethoden, die in Deutschland nicht genehmigt würden, sollen danach weder exportiert noch im Ausland hergestellt werden. Ein Unternehmen soll überhaupt nur in Anlagen produzieren, die ein kommerzieller Versicherer auf unbegrenzte Schadenshaftung versichert.

Stoffe, die nicht umfassend auf ihre Giftigkeit für Mensch und Biosphäre untersucht sind, sollen auch nicht in den Handel kommen, fordert das HUI. Überhaupt müßten sich Unternehmen auf Produkte beschränken, für die es Analysemethoden gibt. Die Verschmutzung mit vielen Stoffen kann derzeit nicht festgestellt werden. So lassen sich im Rheinwasser nur zehn Prozent der eingebrachten Chemikalien identifizieren.

Doch das Schlimmste an der Chemieindustrie sind sowieso nicht die Abfälle, sondern die Produkte: Als der Berliner Reichstag von Christo verhüllt wurde, sicherten sich viele einen kleinen Schnipsel der Folie als Souvenir. „Jetzt haben die Leute den Kunststoff mit hochproblematischem Flammschutz in ihren Stuben“, sagt Jürgen Rochlitz, Bundestagsabgeordneter der Bündnisgrünen und kritischer Aktionär bei BASF.

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