Der Affe hängt vom Menschen ab

In den entlegenen Bergwäldern Südwest-Ugandas streiten auswärtige Naturschützer und einheimische Bevölkerung. Wer geht vor: der bedrohte Gorilla oder der verarmte Kleinbauer?  ■ Aus Kisoro Bettina Gaus

Der dichte Wald am Mgahinga- Berg im äußersten Südwesten Ugandas war für die Bevölkerung der Umgebung seit Menschengedenken eine unerschöpflich scheinende Quelle. Aus Heilkräutern, die darin wachsen, ließ sich Medizin gewinnen. Wasser gab es immer, selbst in der Trockenzeit. Bäume konnten als Feuerholz, Bambusgewächse als Baumaterial verwendet werden. Wilde Tiere lieferten Fleisch.

1991 wurde der Mgahinga-Berg zum Nationalpark erklärt. Seither wird der Zugang streng kontrolliert. Fast alle menschlichen Aktivitäten sind dort verboten. Das mit nur 37,5 Quadratkilometern kleinste derartige Schutzgebiet Ugandas hat eine besonders große Bedeutung: Hier leben Berggorillas. Auf der ganzen Welt gibt es von diesen Tieren nur noch etwas mehr als 600. Sie sind vom Aussterben bedroht, nicht zuletzt, weil Wilderer gnadenlos Jagd auf sie machen: Allein in diesem Jahr sind sieben Gorillas getötet worden.

Die Tiere brauchen Schutz – und sie sind liebenswert. Viele ihrer Beschützer sehen in den Primaten ihren ganzen Lebensinhalt. „Die Arbeit nimmt einen emotional sehr mit, und ich habe mir schon manchmal gedacht, ob ich nicht besser mit einer gefährdeten Rattenart arbeiten sollte, mit irgendeiner Spezies eben, die die eigenen Gefühle nicht so vollständig in Anspruch nimmt“, meint die Tierärztin Elizabeth MacFie vom Internationalen Gorillaschutzprogramm.

Für diese Überlegung gibt es einen düsteren Anlaß: Am 20. Juni 1994 wurde der Leiter des Mgahinga-Nationalparks, der Biologe Klaus-Jürgen Sucker von der deutschen „Berggorilla und Regenwald-Direkthilfe“, in seinem Haus in der Distrikthauptstadt Kisoro unweit des Parks erhängt aufgefunden. Kollegen und Freunde in Deutschland äußerten den Verdacht, der 37jährige sei ermordet worden. Ugandische Behördenvertreter, aber auch Freunde, die mit ihm in den letzten Tagen seines Lebens zusammengewesen sind, glauben an Selbstmord. Die genauen Umstände des Todes von Klaus-Jürgen Sucker werden sich möglicherweise nie aufklären lassen. Fest steht nur: Der Tod ist der tragische Höhepunkt einer leidenschaftlich geführten Auseinandersetzung um den richtigen Weg zum Schutz der Gorillas – und darum, wie denjenigen geholfen werden kann, die den Preis für diesen Schutz bezahlen.

Zu wenig Land und zuwenig Geld

Dabei sehen die Kleinstadt Kisoro und ihre Umgebung nicht so aus, als werde das Leben hier von dramatischen Konflikten geschüttelt. Der Ort mit seinen etwa 7.000 Einwohnern macht einen verträumten, friedlichen Eindruck. Früher soll hier unter den Arkaden der niedrigen Ziegelhäuser entlang zur Hauptstraße reges Geschäftsleben geherrscht haben. Aber 1972 vertrieb Ugandas damaliger Diktator Idi Amin die indischen Händler, und seitdem sind die meisten Läden verrammelt und verschlossen.

Vom wirtschaftlichen Aufschwung Ugandas ist hier nichts zu spüren. Nach Kisoro führt keine Teerstraße, hier gibt es keinen Strom, also auch keine Industrie, und nur wenige Einwohner verfügen über mehr Geld als sie zum Überleben dringend brauchen. „Das Leben hier ist sehr hart“, sagt Zeno Mbishinz'Imana, der katholische Priester der kleinen Gemeinde Soko in der Nähe von Kisoro. „Die meisten Bauernhöfe sind gerade mal ein Viertel so groß wie ein Fußballfeld. 60 bis 70 Prozent der Kinder können nicht zur Schule gehen, weil die Eltern das Geld dafür nicht aufbringen.“ Das Schulgeld für ein Kind beträgt im Monat etwa einen Dollar. Das ist teuer für Familien in dieser Region, wo ein Koch in einer Gaststätte etwa 25 Dollar monatlich verdient und die meisten Eltern sieben oder acht Kinder haben.

Wenigstens braucht niemand zu hungern. Der Boden im Schatten der mächtigen Virunga-Vulkane ist fruchtbar. Vor allem Bohnen, Hirse und Kartoffeln werden angebaut. Die Felder, das dunkle Grün üppig wuchernder Büsche und Bäume, die kleinen Bauernhäuser aus Lehm oder Ziegeln mit ihren Wellblechdächern: Die hügelige Landschaft vermittelt den Eindruck eines Alltags gemächlicher Beschaulichkeit. Der Kampf um die Existenz ist nicht sichtbar. Aber Land ist knapp. Viele erwachsene Kinder haben die elterlichen Höfe verlassen müssen, weil deren Erträge für Großfamilien nicht ausreichen.

Das Gebiet des Mgahinga-Nationalparks war schon 1930 als Waldschutzgebiet ausgeschrieben worden. Jahrzehntelang hat sich darum kaum jemand gekümmert: Seit den vierziger Jahren sind Bauern immer weiter auf das Gelände vorgedrungen. Sie rodeten Bäume und bebauten Land. „Ihre Chiefs haben ihnen das Land zugewiesen, und da die während der Kolonialzeit die Anweisungen der Regierung ausführten, dachten die Leute, das sei alles völlig legal“, erklärt der örtliche Parlamentsabgeordnete Philemon Mateke.

Dieser Glaube erwies sich als falsch. Als das Gelände zum Nationalpark erklärt wurde, mußten mehr als 1.300 Bauern ihre Felder räumen – gegen eine minimale Entschädigung: Die meisten bekamen umgerechnet gerade 30 Dollar. Dafür kann man in Kisoro 30 Kilo Reis kaufen oder fünf Nächte in einem kleinen Hotel übernachten. Eric Edroma, Direktor der ugandischen Nationalparkverwaltung, kann das Verfahren nicht ungerecht finden: Die waren schließlich illegal im Park, sagt er. „Wir haben ihnen nur aus Mitleid überhaupt etwas gegeben. Sie hätten auch völlig ohne Entschädigung ausgewiesen werden können.“

Das sieht die ortsansässige Bevölkerung ganz anders. „Die Leute haben sich sehr unfair behandelt gefühlt“, meint Philemon Mateke. Auch Priester Zeno Mbishinz‘Imana bestätigt, daß die Ausweisungen viel böses Blut erzeugt haben: „Die Leute hier konnten mit dem Begriff ,Schutzgebiet‘ oder ,Nationalpark‘ überhaupt nichts anfangen. Sie wußten nicht, was das heißen sollte. ,Wir gehören hierher, wir sind hier geboren, warum jagen sie uns fort?‘ haben sie gefragt. Und ,Wildern verboten‘ bedeutet für viele ganz einfach ,Jagen verboten‘.“

Gorillas sind scheue Tiere. Wenn sie sich gestört fühlen, ziehen sie fort. Außerhalb des Mgahinga-Parks aber droht ihnen Gefahr. Der Nationalpark ragt als winziges Dreieck der Ruhe in ein hochexplosives Pulverfaß hinein: nach Zaire und nach Ruanda.

Die strategische Bedeutung der Gegend ist für ihre Bewohner schon lange eine Bedrohung, für die Menschen wie für die Tiere. Die Bauern der Dörfer um Mgahinga können die Nachbarländer zu Fuß erreichen. 1990 ist von dieser Region aus die inzwischen siegreiche ruandische Rebellenbewegung RPF (Ruandische Patriotische Front) über die Grenze nach Ruanda marschiert. Hier hat sie in den fast undurchdringlichen Bergwäldern Waffenlager angelegt. Das angegriffene Regime in Ruanda nahm Rache – an Kisoro: Mehrfach ist die kleine Stadt bombardiert worden.

Klaus-Jürgen Sucker hat in Mgahinga gemeinsam mit ugandischen Soldaten gefährliche Arbeit geleistet. Die Pfade durch den Park mußten von Minen geräumt werden. Aber er hat, so erzählen Freunde, vor keiner Aufgabe Angst gehabt, wenn er dadurch der Verwirklichung seines höchsten Zieles einen Schritt näher kam: den Gorillas einen sicheren Lebensraum zu bieten.

Sucker, der von der ugandischen Nationalparkversammlung als Leiter des Mgahinga-Parks eingesetzt worden war, handelte streng. Wer ohne Genehmigung im Park angetroffen wurde, riskierte eine Geldbuße oder Festnahme. Illegal weidendes Vieh wurde beschlagnahmt. Für die Gorillas wurde während Suckers Amtszeit das Leben sicherer. Aber Konflikte waren programmiert. Und er machte sich Feinde.

Die Gorillas haben Wasser, die Bauern nicht

„Vor allem in armen Ländern können Schutzgebiete nur Bestand haben, wenn es im Interesse der Bevölkerung liegt, daß es sie gibt, die Leute also auch davon in irgendeiner Weise profitieren“, meint Philip Franks von der US- Organisation Care. Aber auf welche Weise? Die Nationalparkverwaltung hat Gemeinden der Umgebung zugesichert, daß sie an den Einnahmen aus dem Tourismus im Park beteiligt werden. „Bisher haben sie keinen Pfennig gesehen“, sagt Philemon Mateke. Dafür gibt es einen einleuchtenden Grund: „Durchschnittlich haben wir im Monat etwa 40 Touristen hier“, erklärt Fredrick Kateogu, oberster Wildhüter im Mgahinga-Park. Da dauert es lange, bis genug Geld für den Bau einer Schule oder einer Gesundheitsstation beisammen ist, auf die hier viele gehofft hatten.

Die Mitarbeiter von Care und ihre Geldgeberorganisation US- AID treten dafür ein, daß die Bevölkerung um Mgahinga den Park wenigstens teilweise nutzen darf – beispielsweise Heilkräuter und Bambussprößlinge sammeln und vielleicht auch Wasser holen, solange geplante Wasserleitungen noch nicht fertig sind. Klaus-Jürgen Sucker hat dem erbitterten Widerstand entgegengesetzt. Allzu klein war seiner Ansicht nach die Fläche des Parks, allzu groß das Risiko für die Gorillas. Der Streit nahm an Schärfe zu, wurde persönlich. „Die Spannung war sehr, sehr hoch. Er hat sich am Schluß auch mit allen Distriktbeamten gestritten“, sagt Eric Edroma von der Ungandischen Nationalparkverwaltung. Seine Organisation beschloß, Sucker in einen anderen Park zu versetzen. Dazu ist es nicht mehr gekommen. Unmittelbar vorher starb der Biologe. „Ihn von seinen Gorillas wegzunehmen, hat für ihn das Ende der Welt bedeutet“, meint Edroma heute. Bittere Ironie: Auch er tritt inzwischen nicht mehr dafür ein, den Park in begrenztem Umfang der Bevölkerung zu öffnen. Eine endgültige Entscheidung soll gegen Ende dieses Jahres fallen – vermutlich im Sinne von Sucker.

Für die Bauern der Umgebung bestehen die Probleme weiter. Seit sie den Bach im Park nicht mehr benutzten dürfen, müssen viele von ihnen bis zu zehn Kilometer laufen, um Wasser zu finden. „Seit sie uns das Land weggenommen haben, um einen Park daraus zu machen, haben wir nicht viel davon gehabt“, meint die Kleinbäuerin Vastina Maniraguha aus Soko. Sie hatte Freunde unter den Bauern, die Mgahinga verlassen mußten. Seit Jahren hat sie von ihnen nichts gehört: „Sie sind weggezogen. Wenn man ihnen ihr Land doch nur zurückgeben könnte – ich glaube, sie würden vor Freude in die Hände klatschen.“ Die Gorillaschützer nicht. Die Interessen der Beteiligten sind miteinander unvereinbar. Und alle haben recht.