Indien in Bremen
: „Männer reagieren aus Enttäuschung“

■ Der Konflikt von Hindus und Moslems

Sudhir Kakar (geb. 1938) ist Psychoanalytiker in Neu Delhi. Er hat 14 Jahre in Europa gelebt und in Frankfurt studiert. Kakar hat über Kindheit und Sexualität in Indien geforscht, die traditionellen indischen Heilmethoden untersucht und gerade seine Arbeit über die „Psychoanalyse des Konflikts zwischen Hindus und Moslems“ abgeschlossen. Heute abend um 20.00 Uhr hält Sudhir Kakar im Kito (Vegesack) darüber einen Vortrag.

taz: Hat die Teilung in Indien und Pakistan zu einem nationalen Trauma geführt?

Sudhir Kakar: Nationaltrauma würde ich nicht sagen, da diese Teilung nur Nord- und Ostindien betroffen hat, aber es hatte traumatische Züge. Jede Sache, die wieder nach Teilung aussieht – vor allem von den Moslems – ruft bei den Hindus daher starke Reaktionen hervor. Jedes Land hat seine eigene politische Leidenschaft. In Deutschland ist es ethnisch: Wer ist deutsch und wer nicht? In Indien ist es die territoriale Integrität, wegen dieser Teilung. Die Metaphern der politischen Parteien sprechen ja auch davon: Das ist Zerstückelung, als wenn Körperteile abgeschnitten werden.

Zieht sich das durch alle Bevölkerungsschichten?

Nein, das ist die politische Klasse, Ober- und Mittelschicht, selbst wenn sie in der Opposition sind.

Aber die Ayodhya-Moschee hat ja nicht die Oberklasse zerstört. Was beschäftigt die Massen, die da aufeinander einschlagen?

Die Hindus beschäftigt die territoriale Frage. Sie haben nach 50 Jahren Freiheit, eine große Angst vor Verfolgung, obwohl die Moslems nur ungefähr 11 Prozent ausmachen. Aber es wird so gesehen, daß eine große Menge Moslems von Indien bis Europa dasitzt und wartet, die Hindus wieder zu Sklaven zu machen. Die Moslems haben Angst, daß ihre Identität sich in der großen hinduistischen Götterwelt auflöst.

Führt der Gegensatz von Stadt und Land zu Identitätsverlusten?

Ja, das ist der Hauptgrund. Und was diese traditionellen Identitäten ersetzt, die Moslems und Hindus verlieren. Eine erfolgreiche Strategie ist, religiöse Identität als Hindu oder Moslem zu finden, was durch die politischen Kräfte noch verstärkt und benutzt wird.

Verunsichert die Modernisierung Indiens Männer und Frauen in ihrer Rolle?

Beide sind verunsichert. Die Modernisierung wird psychologisch oft als sexuelle Modernisierung gesehen: Frauen dürfen jetzt alles, das ist eine große Verunsicherung für Moslems und Hindus. Zum Beispiel, daß Männer und Frauen in die gleichen Kinos oder Schulen gehen dürfen.

Wie betreiben Sie die Psychoanalyse des Konfliktes Hindu-Moslems?

Ich habe in der Altstadt einer indischen Stadt Familien interviewt. Mein Ergebnis: Die Frauen haben zum Beispiel nicht so starke Gruppenidentitäten und Konflikte. Männer verschärfen den Konflikt.

Worauf führen Sie das zurück?

Die Männer reagieren sehr aus Enttäuschung. Sie haben viel mehr Kontakt mit der anderen Religion – wirtschaftlich oder durch Freundschaften. Wenn nun etwas passiert, ist die Enttäuschung und Wut viel größer, da „mein Freund“ etwas gemacht hat. Die Frauen haben solche Kontakte nicht, da sie im Haus bleiben. Ihr Hauptinteresse richtet sich auf die Familienbeziehungen und nicht auf die größeren Außenbeziehungen. Für Männer ist es auch sehr wichtig, in den Auseinandersetzungen zu zeigen, wie männlich sie sind.

Ist der Konflikt zu lösen?

Ich glaube nicht, dafür ist er zu subtil. Aber das braucht er ja auch nicht. Wichtig ist, daß er nicht so gewalttätig weitergeht.

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