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Widerspenstige Waliser

Durch einen 2:1-Sieg in Wales, der um ein Tor zu hoch ausfiel, ist das deutsche Team fast für die Fußball-Europameisterschaft 1996 qualifiziert  ■ Aus Cardiff Ralf Sotscheck

David Rogers mag die Deutschen. Der kleine, dünne Mann mit den fettigen Haaren und der abgewetzten Lederjacke interessiert sich eigentlich gar nicht für Fußball, doch jetzt scheint es ihm angebracht, diese Tatsache zu verschweigen. In der „Old Arcade“ haben sich 20 Fußballfans aus Deutschland breitgemacht und liefern sich eine Sprechchorschlacht mit den walisischen Fans im hinteren Teil der Kneipe. Der alte Rogers sagt listig, die deutschen Fußballer seien die besten. Dafür bekommt er von einem jungen Rheinländer, der sich in eine Deutschlandfahne eingewickelt hat, ein großes Glas Welsh Bitter. Als das Bierglas leer ist, stimmt er in den deutschen Sprechchor ein und sichert sich den Nachschub.

Vor dem Pub stehen vier Polizisten herum und beobachten das Geschehen. Man habe „alle Hände voll zu tun“, sagt einer. „Wir halten die Busse mit deutschen Fans an und erklären ihnen, was sie erwartet, wenn sie sich nicht benehmen“, sagt er. Erst lange nach Mitternacht gibt es Entwarnung: Das Qualifikationsspiel für die Europameisterschaft 1996 zwischen Wales und Deutschland ist friedlich verlaufen. Die Deutschen werden nächstes Jahr in England dabei sein. Das steht so gut wie fest, nachdem sie die Waliser im Arms Park mit 2:1 besiegt haben. Das Rugbystadion in der Innenstadt, das 53.000 Zuschauer faßt, war nicht einmal halb voll, obwohl „Klinsmanns Sturmtruppen“, wie die walisische Western Mail die deutsche Mannschaft nannte, als „Superteam von brasilianischer Qualität“ angekündigt waren.

„Brasilianische Qualität“ zeigte aber vor allem der quirlige Linksaußen der Waliser, Ryan Giggs. „Giggs hat einen entscheidenden Fehler“, meinte Bundestrainer Berti Vogts nach dem Spiel, „er hat keinen deutschen Paß.“ Allerdings führten die Dribbelkünste des 22jährigen zu keinem Tor, das mußte der Abwehrspieler Kit Symons mit Hilfe von Thomas Helmer erledigen, der den Ball ins Tor lenkte (79.). Zu diesem Zeitpunkt hatte Deutschland vier Minuten lang mit 1:0 geführt. Auch das ein Eigentor: Andrew Melville bugsierte den Ball ins Netz, aber als Torschütze wurde Stefan Kuntz angegeben, der nur anderthalb Minuten zuvor für Heiko Herrlich eingewechselt worden war. „Ich habe heute mit allen Körperteilen versucht, den Ball reinzumachen, auch mit den zu kleinen“, sagte Stefan Kuntz nach dem Spiel. Welche Körperteile meinte er? „Na die, die heute nicht gereicht haben.“ Logisch.

Herrlich wäre an diesem Tag wohl gerne woanders gewesen, das Spiel lief an ihm vorbei. Er verlor jeden Zweikampf, ihm mißlang jeder Paß, und wenn er mal am Elfmeterpunkt angespielt wurde, schob er den Ball vorsichtshalber zurück ins Mittelfeld. Sein Sturmpartner Jürgen Klinsmann, der zum ersten Mal seit seinem Weggang von den Tottenham Hotspurs wieder in Großbritannien spielte, hatte offenbar einen Hackentricklehrgang absolviert, aber so recht wollte es nicht klappen. Zehn Minuten vor Schluß erinnerte er sich jedoch an seine Kopfballstärke und machte das 2:1. „Wie ich schon am Sonntag in Leverkusen sagte“, meinte Vogts später selbstzufrieden, „der Jürgen erzielt nur entscheidende Tore für uns.“

Obwohl die Waliser auf fünf Stammspieler verzichten mußten, zeigten sie ein flottes Spiel. „Die konzentrieren sich alle zwei bis vier Jahre, wenn sie gegen uns spielen“, sagte Vogts, „warum zeigen sie diese Leistung nicht auch, wenn es gegen Georgien oder Rumänien geht?“ Gegen diese Teams ist Wales kläglich eingegangen, so daß Trainer Mike Smith Ende Juli das Handtuch warf. Der Verband suchte zunächst per Zeitungsannonce einen Nachfolger, bis sich Bobby Gould bereit erklärte. „Wenn mir jemand vor zehn Wochen gesagt hätte, daß ich im Qualifikationsspiel gegen Deutschland für das walisische Team verantwortlich sein würde, dann hätte ich ihn so schnell wie möglich von Leuten in weißen Kitteln in ein Irrenhaus bringen lassen“, sagte Gould vor dem Spiel. Danach ließ er sich nicht blicken, gab aber durch seinen Torwart Neville Southall bekannt, daß er zufrieden sei.

Der 37jährige Southall, der schon nach zwei Minuten eine gelbe Karte wegen Spielverzögerung bekommen hatte, nahm die Schuld am ersten Tor großzügig auf sich, weil er Christian Zieges Flanke verpaßt hatte. Ziege sah später ebenfalls gelb und muß im entscheidenden Spiel um den Gruppensieg gegen Bulgarien pausieren. „Ausgerechnet einer unserer beiden Berliner fehlt nun in Berlin“, lamentierte Vogts. Der andere Berliner, Thomas Häßler, sagte ebenso wie Torwart Andreas Köpke nach dem Spiel, daß man gewonnen habe, weil man sich jetzt auf dem Spielfeld und privat ganz prima verstehe. Elf Freunde müßt ihr sein – hatte das nicht schon Sepp Herberger gewußt?

Deutschland: Köpke - Sammer - Babbel (46. Wörns), Helmer - Freund, Häßler, Eilts, Möller, Ziege - Herrlich (74. Kuntz), Klinsmann

Zuschauer: 25.000; Tore: 0:1 Melville (75./Eigentor), 1:1 Helmer (79./Eigentor), 1:2 Klinsmann (81.)

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