Multikulti-Alltag: Muttersprache polnisch für Aussiedler
■ Bundesweit einmaliges Schulprojekt
Das gibt es in keinem anderen Bundesland: Ab diesem Schuljahr wird erstmalig an fünf Bremer Grundschulen polnischer Muttersprachenunterricht erteilt. Etwa 200 SchülerInnen treffen sich einmal pro Woche für zwei Stunden, um die einst erlernte Sprache aufzufrischen.
Außer ihnen leben weitere 1800 polnischsprachige SchülerInnen deutscher Herkunft in Bremen. Sie sind entweder zu alt für die zunächst auf die 3. bis 6. Jahrgangsstufe beschränkte Maßnahme, oder sie haben schlichtweg keine Lust auf noch mehr Schule. Doch mit 10 Prozent liegt die Teilnahmequote überraschend hoch, bilanziert Bernhard Wilker von der Schulbehörde. Daher soll die Maßnahme möglichst über alle Klassen bis hin zum Abitur ausgeweitet werden. Bildungssenatorin Bringfriede Kahrs möchte den polnischsprachigen SchülerInnen dieselben Möglichkeiten einräumen wie den etwa 5000 türkischen SchülerInnen, die etwa 10 Prozent der Gesamtschülerzahl Bremens ausmachen und bereits seit 1987 muttersprachlichen Unterricht erhalten.
Für die anderen Ethnien wird es, abgesehen von einem bereits realisierten kleinen Projekt für kurdische SchülerInnen, keine Maßnahmen geben, bedauert Bringfriede Kahrs. Dafür ist das Geld zu knapp. Vier Lehrerstellen wurden für die polnischen SchülerInnen eingerichtet. Dafür zahlte das Bundesinnenministerium, das seit dem am 17.6.91 geschlossenen deutsch-polnischen Vertrag in der Pflicht steht, ebenso einen Zuschuß wie das polnische Erziehungsministerium.
Die Hauptarbeit der zweijährigen Planungsphase aber wurde von der Gesellschaft zur Förderung der polnischen Kultur in Bremen geleistet. Nachdem das von der Bildungsbehörde initiierte Projekt 1993 an mangelndem Bedarf zu scheitern drohte, übernahmen die Vereinsmitglieder die Werbung. Und nicht nur das: Zwei Mitglieder des Vereins entwickelten in ehrenamtlicher Arbeit ein pädagogisches Konzept und ein eigenes Lehrbuch. Schließlich sollte der Zweck der Schulung nicht nur darin liegen, die polnische Sprache und Kultur zu vermitteln, sie soll vielmehr daneben integrationsfördernd sein.
„Jeder Mensch möchte wissen, woher er kommt“, kommentierte der eigens angereiste polnische Vizeminister für Erziehung, Prof. Dr. Zbignew Olesinski, das Bremische Schulprojekt. „Das Bewußtsein der eigenen Tradition hilft, die Probleme des Alltags besser zu lösen.“ Konsul Marek Kostrzewa bezeichnete die Maßnahme als großen Schritt zur Völkerverständigung. Damit beweise Bremen, daß es für eine „multikulturelle Gesellschaft statt für eine entwurzelnde Assimilation“ eintrete. Die Kinder fanden dafür einfachere Worte. Befragt, warum sie es auf sich nehmen, zusätzlich zum normalen Unterricht auch noch Polnischstunden zu nehmen, antworteten sie: „Damit ich mich mich mit meiner Oma und meiner Tante unterhalten kann. Die sprechen nur polnisch.“
Bernhard Wilkner, der das Projekt während der gesamten Planungsphase betreute, ist glücklich über die rege Teilnahme. „Vor drei Jahren wären das nicht so viele gewesen“, meint er. Die AussiedlerInnen, damals noch damit beschäftigt, sich im neuen Land zurechtzufinden, würden sich jetzt langsam dessen bewußt, was sie in Polen zurückgelassen haben. „Wir wollen die Integration, aber das bedeutet nicht, diese Wurzeln zu ignorieren“. dah
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