: „Zur richtigen Zeit am richtigen Ort“
■ Dank eines toten Hundes erzielt Sandra Smisek ihre Tore wie am Fließband
Frankfurt (taz) – Fußball ist an und für sich keine komplizierte Angelegenheit. Er wird nur von manchen dazu gemacht. Sandra Smisek gehört nicht dazu. Die 18jährige hat bisher in der Frauenfußball-Bundesliga 16 Tore für den FSV Frankfurt geschossen – in fünf Spielen. Niemand zweifelt, daß sie Heidi Mohrs 36-Tore-Rekord von 90/91 übertreffen wird. Ihr Erfolgsgeheimnis? „Das ist eigentlich ganz einfach. Ich bin zur richtigen Zeit am richtigen Ort.“ Ganz einfach. Und damit könnte die Geschichte schon erzählt sein. Gäbe es da nicht die Totalverweigerung, die verlorene Wette und die Sache mit dem Hund.
Sommer 91, auf dem Parkplatz des FSV-Trainingsgeländes stehen Erwachsene um ein Auto, in dem sich eine 14jährige eingeschlossen hat. Einer hadert, einer fleht und ein dritter lockt, aber Smisek, die ein FSV-Spion bei einem kleinen Stadtteilklub entdeckt hatte, will nicht: „Mit Mädchen spiele ich nicht, die können nicht kicken.“ Der Hintergrund: Bis 14 spielen Mädchen mit Jungs, danach verlangt der DFB geschlechtsgetrennte Teams. Sandra blieb stur und hörte auf: „Da hätte ich fast meine Karriere verschludert.“
Jetzt ist sie Deutsche Meisterin, Pokalsiegerin und Vizeweltmeisterin. „Was soll's, ich hab' die Kurve ja noch gekriegt“. Weil ihre beste Freundin eine Wette verlor. Die hatte ebenfalls mit dem Kicken aufgehört. Die Wettschuld bestand darin, wieder anzufangen: „Weil's mir langweilig wurde, bin ich eben mitgegangen.“
Seitdem tanzt Smisek wieder wie ein Irrwisch durch die gegnerische Abwehr. „Mir würde nie im Leben einfallen, sie mit Defensivaufgaben zu behelligen“, sagt FSV- Trainer Jürgen Strödter, „ihr Arbeitsplatz ist der Strafraum und ihr Job Toreschießen – nichts anderes.“ Jede ihrer Bewegungen kennt nur ein Ziel: das Tor. Die Flugkopfbälle des 1,64 Meter kleinen Leichtgewichts sind so legendär, wie ihre Fallrückzieher spektakulär sind. Und sie hat den „Second- chance-Instinkt“, wie es Strödter ausdrückt. Sie erahnt Querschläger, sie ist der Alptraum zaudernder Verteidigerinnen. Und das personifizierte schlechte Gewissen des zaudernden Bundestrainers. Die ganze WM lang ließ er sie auf der Bank schmoren, um sie dann im Endspiel kurz vor Schluß beim Stand von 0:2 zu bringen. Sie erspielte mehr Chancen als das gesamte Team in den 85 Minuten zuvor. Gardemaß-Fan Gero Bisanz hatte ihr kein Durchsetzungsvermögen zugetraut.
Jetzt kommt er nicht mehr an ihr vorbei, und das hängt mit einem Hund zusammen: „Vor unserem ersten Spiel ist der Hund meiner besten Freundin gestorben“, erzählt sie völlig kitschfrei, „da habe ich ihr versprochen, mein erstes Tor dem Hund zu widmen, und mir sein Foto unter den Schienbeinschoner geklemmt.“ Es folgten sechs Tore gegen Saarbrücken. Seitdem kickt das Abbild des Hundes immer mit. Matthias Kittmann
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