: Einer fürchtet um die Ehre
Henry Maske und Graciano Rocchigiani boxen heute erneut um die Halbschwer- gewichts-WM. Beide sorgen sich um ihre Ideale: Der Herausforderer verliert bei einer Niederlage die Geschäftsgrundlage, um seinen Heldenstatus bangt der Weltmeister ■ Aus München Peter Unfried
Nachdem Henry Maske heute gegen halb neun aufgestanden ist, wird er sehr wahrscheinlich schlechter Laune sein. Der Mann, der im Bayerischen Hof zu München eine Suite bewohnt, sieht nämlich nicht gut aus. Sagen wir es anders: er sieht nicht aus wie gewohnt. Der Weltmeister im Halbschwergewicht (IBF) vermittelt in den Tagen vor der achten Titelverteidigung bisweilen den Eindruck, als könne er kaum erwarten, daß alles vorbei sei. Bei der Pressekonferenz im Arabella wirkte er, als wäre er am allerliebsten unsichtbar. Nichts, gar nichts ging aus von dem Krawattenträger im braunen Jackett.
Ob Henry Maske (31) den heutigen Rückkampf gegen Graciano Rocchigiani (22 Uhr, RTL) wirklich wollte, um etwas „klarzustellen“, wie er offiziell zu sagen pflegt? Wozu? Seiner Meinung nach hatte er am 27. Mai in Dortmund den Titel rechtmäßig verteidigt. „Der Punkt ist“, sagt Maske wie aus dem Nebel heraus, „daß wir in den Ring müssen.“ Dann erst setzt er nach: „In den Ring wollen.“ Ob er noch Spaß am Boxen hat, darüber äußert sich auch der gern ehrliche Trainer Manfred Wolke nur sehr unpräzise. „Die Grenze“, hat Maske selbst in seiner derzeit extrem verquasten Diktion gesagt, „ist manchmal sehr durcheinandergezogen.“
Was zeigt: Wenn denn Henry Maske tatsächlich ein Problem haben sollte, heißt das nur vordergründig Graciano Rocchigiani. In erster Linie heißt es Henry Maske. Nach zweieinhalb Jahren der totalen Vermarktung, muß der Sterbliche sehen, wie der kunstvoll geschaffene gesamtdeutsche Idealheld und der real existierende Ex- NVA-Leutnant nicht länger eins sind. Es hat aber der existentiellen Wut Graciano Rocchigianis im Ring bedurft, um die Öffentlichkeit an der Richtigkeit ihrer Entscheidung zweifeln zu lassen, ihre Bedürfnisse dem Boxer Maske übertragen zu haben. Lange hatten sie bereitwillig geglaubt, der Defensivstratege zelebriere Kunst im Ring. Seit den Runden neun und zwölf von Dortmund nun fürchten sie, er boxe nicht anders, als sie ihr Reihenhaus abzahlen. Tastend, kleinbürgerlich, immer in Angst vor dem großen Schlag.
Vielleicht ist es noch schlimmer, und nur Maske fürchtet, daß sie es fürchten. Der Sender RTL, der die Kunstfigur Maske mitgeschaffen hat, wird alles tun, etwaige Bedenken zu zerstreuen. Es gilt einen neuen Quotenrekord aufzustellen, die 13-Millionen-Marke zu knacken. Doch diese Menge ist es, die den Boxer ängstigt. „Irgendwo“, sagt er, „ist eine Sphäre erreicht, wo's beängstigend wird.“ Die Millionen, die er, bevor es Frühling wurde, als ein Volk von Freunden verstand, sind ihm nun „eine Masse, die Wirkung hinterläßt“.
Jetzt ist eine seltsame Situation eingetreten: Da ist jener Kampf der zwei deutschen Ausnahmeboxer, den RTL in bewährter Manier der „Rocky“-Filme mit dem a priori geistlosen Slogan „Eine Frage der Ehre II“ verkauft. Und obwohl weit und breit keiner ernsthaft glaubt, daß tatsächlich irgendeine Ehre auf dem Spiel steht, ist da ein Mensch, der sich bei jeder Gelegenheit bemüßigt fühlt zu betonen, daß er „keine Ehre verlieren“ könne. Wie Max Schmeling hat sich der tadellose Sportsmann Maske mit den verschiedensten Leuten an den Tisch gesetzt. Ohne um seine Ehre zu fürchten. Auch mit Erpressern, Waffenhändlern, et cetera. Oder auch: Man hat ihn gesetzt, er hat sich nicht gewehrt. Als Kind haßte er die Hänseleien wegen seines Nachnamens. Diesen Namen machte er nicht nur selbstverständlich, er machte ihn groß. Nun aber ängstigt er sich, alles könne umsonst gewesen sein. Fürchtet um seinen Lebensentwurf. Es ist ein Witz: Henry Maske hat Angst um seine Ehre.
Nachdem Graciano Rocchigiani heute gegen halb neun aufgestanden ist, wird er sehr wahrscheinlich schlechter Laune sein. Der Mann, der im Arabella zu München eine Suite bewohnt, ist nämlich schon seit längerem schlechter Laune.
Das hängt zum einen mit einer wohl grundsätzlichen Rezeption seines Daseins auf diesem Planeten zusammen. Zum anderen hat sich Rocchigiani in der Kampfvorbereitung geschunden wie selten. Und so früh wie nie mit dem Rauchen aufgehört, vor stolzen drei Monaten. Die unmittelbaren Auswirkungen von Arbeit und Askese: „Ich finde“, sagt Christine Rocchigiani (28), „daß er miserabel drauf ist.“ Das aber, hofft die Managerin und Ehefrau, sei „ein gutes Zeichen“, denn zuletzt in dieser Deutlichkeit zu erkennen gewesen vor jenem Kampf 1988, der ihm die Supermittelgewichts-WM brachte. Nach hundertprozentiger Siegquote in den ersten 36 Kämpfen hatte Rocchigiani (31) in den letzten fünf nur noch zweimal gewonnen.
Um so wunderbarer muß es ihm vorkommen, daß man ihm zum zweiten Mal binnen eines Jahres eine gute Million für seine Dienste zahlt. Nicht, daß das Geld leicht verdient wäre; es ist nur so, daß Rocchigiani keine große Wahl hatte, als Maske-Manager Sauerland auf Hinweis von RTL im Mai den offensichtlichen Mann von gestern zum Wohle von Quote und Schlagzeile vermeintlich kurzfristig reanimierte.
Im Dortmunder Ring tat der gelernte Fensterputzer nichts anderes, als was er stets getan hatte: Er teilte der Welt seine Wut über sie mit. Und weil er zu der Zeit ziemlich unten war und also sehr wütend, schlug er den Weltmeister Henry Maske so lange, bis der fast k.o. gegangen wäre. Dafür nahm ihn die Welt in nie dagewesenen Ehren auf.
Das Problem des Produkts Rocchigiani freilich ist: Es funktioniert vermutlich einzig als Gegenpol zu Maske. Den Platz des omnikompatiblen „Anpassers“ (Rocchigiani) im Bewußtsein der Massen könnte er nicht ausfüllen. Rocchigiani, der Starke, hat Angst vor Menschen. Also meidet er sie, so gut es geht. Wenn man ihn mit Geld zwingt, sich zu zeigen, versteckt er sich hinter einer Sonnenbrille. Und statt wie Maske automatisch in jede Kamera zu schauen, wendet er den Kopf ab. Maske-Manager Wilfried Sauerland hat also für den Fall eines Herausforderer-Sieges zwar die Rechte für die nächsten beiden Kämpfe, der Mann selbst aber ist nicht zu kaufen. „Alles Gequatsche vor laufender Kamera bringt mir nicht viel“, hat er im Arabella hervorgepreßt. Das ist ein Satz, den er stets sagt und an den er glaubt, der ihn allerdings nicht weit bringt, in einem Geschäft, das nur noch rudimentär im Ring zu erledigen ist. Wenn er doch redet, taktiert er nicht. Daß einer der Punktrichter heute abend Italiener ist, macht ihn mißtrauisch, nachdem ihn in Dortmund einer so weit zurück sah (111:118), daß es selbst Maske noch immer peinlich ist. Signore Scala ist dem Sohn eines sardischen Eisenbiegers ein „Vaterlandsverräter“. Gegen Signore Vilani hat er „nichts, noch nichts“.
„Graciano“, glaubt Frau Christine, „hat Ausstrahlung, die von innen kommt.“ Diese Ausstrahlung aber „zeigt er natürlich nicht jedem“. Der Gemahl sagt, er gehe davon aus, „daß es ein Urteil gibt, wo die Punktrichter nicht gebraucht werden“. Wie er das aber sagt, klingt es nicht wütend, sondern genauso müde, wie wenn Kollege Maske schwafelt, der Kampf sei „ein erneuter Stellenwert, der eine sehr hohe Wertigkeit erfahren hat“. Graciano Rocchigiani weiß, daß aus ihm kein Sieger mehr wird. Daß es aber etwas zu verlieren gäbe, außer Geld, käme ihm nicht in den Sinn.
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