: Chaostage am Gericht
Sächsische Verfassungsrichter behandelten auf Antrag von SPD und Bündnisgrünen das Polizeigesetz. „Eingriffe in die persönliche Freiheit“ ■ Aus Leipzig Detlef Krell
Es war nicht anders zu erwarten: Immer wieder neu mußten diese beiden Ereignisse herhalten, je nach Bedarf mal als gutes, mal als schlechtes Beispiel. Die Chaostage in Hannover und der verhinderte „Rudolf-Heß-Gedenkmarsch“ in Sachsen zogen sich wie eine heiße Spur durch die Verhandlung vor dem sächsischen Verfassungsgericht. Auf Antrag von SPD und Bündnisgrünen prüfen die Verfassungsrichter mehrere Artikel des im Mai vergangenen Jahres von der CDU-Mehrheit beschlossenen Polizeigesetzes.
Zu klären ist, ob Vorbeugegewahrsam bis zu 14 Tagen und die Datenerhebung mit nachrichtendienstlichen Mitteln von der Verfassung des Freistaates gedeckt werden. So wird das Urteil in diesem sächsischen Verfassungsstreit auch als Signal für die Novellierung der Polizeigesetze in anderen Bundesländern erwartet. Die höchste Kammer des Landes, acht Männer und eine Frau, entscheidet. Erst Anfang nächsten Jahres wird der Richtspruch verkündet werden.
Zuweilen geriet die Verhandlung zu einem Nachschlag der damals so heftig wie nur selten an der Elbe geführten Plenardebatte. SPD-Fraktionschef Karl-Heinz Kunckel geißelte „Eingriffe in die persönliche Freiheit der Bürger, die eines Rechtsstaates nicht würdig sind“. Justizminister Steffen Heitmann (CDU) konterte: „Von einem Orwellschen Überwachungsstaat zu sprechen, ist absurd.“ Das könne nur jemand behaupten, der Orwell nicht gelesen habe. Es gäbe zudem Anlaß, an der Unvoreingenommenheit des Gerichts zu zweifeln, mäkelte der Minister. Finde sich doch in dessen Eröffnungspapier ein „politischer Kampfbegriff“, nämlich Großer Lauschangriff, ohne Anführungszeichen!
Die vom Gericht angerufenen Polizeirechts-Experten sezierten dann die umstrittenen Artikel so gründlich, daß selbst Sachsens neuer Innenminister Klaus Hardraht Änderungsbedarf einräumen mußte. Nach Paragraph 39 des von seinem Amtsvorgänger Heinz Eggert geprägten Gesetzes können bisher Verdächtige abgehört werden, ohne daß dafür ein Gerichtsbeschluß vorliegt. Hardraht hält es für „denkbar und möglich“, den Richtervorbehalt einzufügen.
Umstritten ist auch die dem Gesetzestext nach „unvermeidbare“ Datenerhebung von Dritten. Polizeiohren in der Anwaltskanzlei, in der Arztpraxis, vielleicht gar im Beichtstuhl; eine Vorstellung, der die Rechtsexperten nicht viel Sympathie abgewinnen mochten. Sachsens Datenschützer Thomas Giesen wiederholte: In diesem Polizeigesetz gebe es „keinerlei Schutzmechanismen“ zur Wahrung des Berufsgeheimnisses und Zeugnisverweigerungsrechts. Weitgehend einig ist sich die Expertenrunde auch in der Bewertung des vierzehntägigen Vorbeugegewahrsams. Der Expräsident des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg, Ralf Krüger, könne sich zwar Situationen vorstellen, „in denen die 14 Tage nicht reichen“, doch zumeist hätte der angedrohte Vorbeugeknast nur „abschreckende Wirkung“.
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