: Geschlagen, behütet, abgerutscht
■ Die vier Verurteilten kommen aus unterschiedlichen sozialen Milieus, gehörten aber alle zur rechten Solinger Szene
Christian R., zur Tatzeit 16 Jahre: Christian R. war in Solingen wegen seiner Ausländerfeindlichkeit bekannt. Er verbreitete Blätter mit selbstverfaßten Texten wie: „Warum Tierversuche, solange es Ausländer gibt“. Am Abend vor dem Brandanschlag kündigte R. das Verbrechen an. „Morgen in 14 Tagen wird das Türkenhaus brennen“, erzählte er drei Jugendlichen. Doch das Haus brannte schon ein paar Stunden später.
R. wuchs unter katastrophalen Verhältnissen auf. Die meiste Zeit seines Lebens verbrachte er in Heimen. Seinen Vater hat er nie kennengelernt. Die völlig überforderte Mutter schlug immer wieder auf das unruhige, aggressive Kind ein. Schon mit sechs Jahren galt der Junge als verhaltensgestört. „Ich bin böse, deswegen werde ich geschlagen, und deswegen muß ich schlagen.“ So beschrieb sich R. im Prozeß. Je älter er wurde, um so intensiver projizierte er all seinen aufgestauten Haß auf Ausländer – bestärkt von rechten Erwachsenen aus dem Umfeld der Mutter.
Felix K., zur Tatzeit 16 Jahre: Fast paradiesisch muten dagegen die Bedingungen an, unter denen der Arztsohn Felix K. aufwuchs. Bis zu seinem 13. Lebensjahr war das Verhältnis zu seinen in Friedens- und Bürgerrechtsgruppen aktiven Eltern „gut“. Danach glitt er immer mehr in die rechte Skinheadszene ab. Seinen Eltern, deren Anforderungen er in der Schule nicht gewachsen war, wollte er nun zeigen: „Ich bin ich selber und nicht wie ihr.“ Wenn er „schlecht drauf war“, pflegte er mit Inbrunst das rassistische „Türkenlied“ der „Böhsen Onkels“ zu singen, in dem von den „Türkenvotzen“ die Rede ist und von dem „Türkenpack“, das „zurück nach Ankara“ gehört.
Christian B., zur Tatzeit 20 Jahre: Christian B. gehörte ebenfalls zur Solinger Skinheadszene. Sein Vater verdiente sein Geld als selbständiger Handwerker, seine Mutter kellnerte. Im Prozeß suchte B. immer wieder seine Skinheadzeit als unpolitisches Rebellentum darzustellen: „Ich bin zwar kein Engel, aber auch kein rassistischer Neonazi.“ Doch sein von der Polizei sichergestelltes Tagebuch spricht eine andere Sprache. Am 10. 4. 93, schrieb er von einer „Kanaken-Mama“: „Asoziales Kanakenschwein, was vom Cocktail noch nicht verbrannt wurde.“
Markus Gartmann, zur Tatzeit erwachsen: Gartmann wuchs in sehr beengten Verhältnissen auf. Der Vater Metallarbeiter, die Mutter Hausfrau. 1990 starb die Mutter, und Gartmann lebte allein mit seinem alkoholkranken Vater. In der Realschule litt der scheue, gehemmte Einzelgänger, der noch nie in seinem Leben eine Liebesbeziehung hatte, unter dem Spott seiner MitschülerInnen. Um der Häme der Gleichaltrigen zu entgehen, schloß er sich der wesentlich jüngeren Skinheadgruppe um Felix K. an. Seit 1992 gehörte Gartmann der rechtsradikalen Deutschen Volksunion (DVU) als passives Mitglied an. Walter Jakobs
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