: UNHCR: Serben haben „Todeslager“ geöffnet
■ Trotz des Waffenstillstandes wird in Nordwestbosnien weiter gekämpft. Die Serben geben die Eroberung der Stadt Sanski Most durch die Regierungsarmee zu
Genf/Sarajevo (dpa/AP) – Die bosnischen Serben haben nach UN-Angaben ihre berüchtigten „Todeslager“ im Nordwesten Bosniens offenbar wieder geöffnet und halten darin muslimische sowie kroatische Männer fest. Wie ein Sprecher des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) am gestern in Genf mitteilte, habe die Organisation vermehrt Hinweise darüber erhalten. Auch das Internationale Komittee des Roten Kreuzes (IKRK) prüft entsprechende Informationen und versucht Zugang zu den Lagern zu erhalten.
In den „Todeslagern“ hatten die bosnischen Serben 1992 und 1993 Tausende von Männern nach Berichten zum Teil bestialisch geqäult und getötet. Den Angaben zufolge ist nun unter anderem das Lager Keraterm in der Gegend von Banja Luka wieder geöffnet worden. Es gebe jedoch keinerlei Informationen darüber, wie es den Gefangenen dort ergehe. In Den Haag war im Sommer der frühere Kommandant des Lagers, Duska Sikirica, gemeinsam mit zwölf Helfern vor dem UN-Kriegsverbrecher-Tribunal angeklagt worden.
Heftige Kämpfe im Nordwesten des Landes dämpften unterdessen gestern die Hoffnungen auf einen dauerhaften Waffenstillstand in Bosnien-Herzegowina. Nach UN- Angaben attackierten die Regierungstruppen serbische Stellungen an verschiedenen Orten der Region und verletzten „massiv“ den seit zwei Tagen geltenden Waffenstillstand. Die UNO sei „überaus besorgt“ über die Kämpfe in Nordwestbosnien, sagte UN-Sprecher Jim Landale. Die Serben gaben gegen Mittag den Verlust der strategisch wichtigen Stadt Sanski Most zu. Die Regierungstruppen warfen ihrerseits den Serben die Verletzung des Waffenstillstandes vor.
Nach Angaben aus UN-Kreisen wollen die Regierungstruppen offenbar als nächstes die Stadt Prijedor erobern. Dies würde ihnen ein Netz von strategisch wichtigen Straßen erschließen. Durch die Kämpfe wurden erneut Tausende Zivilisten in die Flucht getrieben. Aus Angst vor einem Angriff der Regierungstruppen flüchteten mehrere tausend Menschen aus Prijedor in Richtung Banja Luka. Der UN-Sicherheitsrat hatte am Donnerstag seine Besorgnis angesichts von Berichten über ernneute Vertreibungen in den Regionen Bihać und Prijedor erklärt. Er forderte alle Parteien auf, ethnische Vertreibungen einzustellen.
Außer im Nordwesten des Landes war die Lage in Bosnien UN- Sprecher Landale zufolge gestern „generell ruhig“. Der bosnische Präsident Alija Izetbegović zeigte sich bei einem Besuch in Prag überzeugt, daß der Waffenstillstand trotz der gemeldeten Verstöße halten werde.
Nato-Anfrage
Bonn (AP) – Zwei Tage nach der Grundsatzentscheidung des Bündnisses zur Aufstellung einer Friedenstruppe für Bosnien-Herzegowina hat das Nato-Oberkommando die Bundesregierung gestern offiziell um deutsche Soldaten für diese Aktion gebeten. Das bestätigte der Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums, Hans-Dieter Wichter, in Bonn. Die Bundesregierung wird ihre Antwort voraussichtlich am 24. Oktober auf der Basis eines Vorschlags von Verteidigungsminister Volker Rühe beschließen. Mit einem entsprechenden Bundestagsbeschluß wird noch im November gerechnet.
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