Keimfreie Athletik

■ Keine Nostalgie, keine sexy Hüftschwünge: Die „Rock 'n' Roll-Meisterschaften kamen ganz ohne Elvis aus

Seinen guten alten Rock'n'Roll-Tanz hätte Elvis Presley garantiert nicht wiedererkannt. Und auch das Umfeld der diesjährigen German Open Championship in dieser Disziplin dürften den King und die anderen toten Rock'n'Roller von Wolke Sieben in Erstaunen versetzt haben.

Kein muffiger Tanzschuppen, nicht mal eine Turnhalle, sondern das glitzernde Kongreßzentrum auf der Bürgerweide war am Samstag abend Austragungsort der Meisterschaft des Deutschen Rock'n'Roll Verbandes e.V. (DRRV). Man wolle weg von dem stinkigen Turnhallenambiente, „Basketballkorb hier, Basketballkorb da,“ wie Christian Poswa von der May & Partner GmbH sagt. Die Agentur betreut seit 1991 konzeptionell den DRRV und ist verantwortlich für das neue Gesicht des Tanzsportes. Poswa: „Wir haben den Veranstaltungsort ganz bewußt gewählt. Da kann man Fernseh-Präsenz überzeugend gestalten, das sieht nach was aus.“

Nicht der sportliche Aspekt stand also im Vordergrund, als sich über sechzig Paare im anderthalbminütigen Gegeneinandertanzen miteinander maßen. Die Neunziger-Variante des Hüftschwungs versucht mit Allmacht telegen zu werden, um den lukrativen In-Sportarten Konkurenz zu machen. Fast 3.300 Minuten lang flimmerte der Tanzstil im letzten Jahr über deutsche Bildschirme, wie die geschäftstüchtigen May & Partner errechneten. Doch das scheint nicht genug. Also sparte man an Athletik und Lebensgefühl und konzentrierte sich auf die Show.

Die allerdings war erbärmlich. Zwar versuchten die Veranstalter, das Duell der deutschen Europameister Hartmann/Fenkel mit den russischen Weltmeistern Vecerova/Kolb zu einem mitreißenden Duell a–la Schumi gegen Damon Hill hochzustilisieren. Doch der Zweikampf blieb blaß. Denen, die einfach so zum Gucken gekommen waren, fehlte der Bezug. Die fachkundigen Bremer aber hatten andere Lieblinge. Etwa Simone Stasch und Michael Wallrabe vom Tanzclub Waller Teufel, dem einzigen teilnehmenden Bremer Paar. Doch so überraschend sich die Hanseaten qualifiziert hatten, so erwartungsgemäß schieden sie in der Vorrunde aus. Der Rest konnte froh sein, wenn sich jeweils sechs bis acht ZuschauerInnen ob ihres Schicksals ereiferten.

Ein undurchsichtiger Turniermodus, bei dem gut ein Drittel der Teilnehmenden nicht durch Tanzen, sondern durch das Los weiter kam, tat sein übriges, um dem sportlichen Ansatz jede Spannung zu nehmen. Den Reiz der tatsächlich beeindruckenden akrobatischen Leistungen der Paare schmälerte aber vor allem das auf Fernsehtauglichkeit ausgerichtete Drumherum beträchtlich. Jeweils zwei Pärchen einander ignorierend gegeneinander tanzen zu sehen, reichte bei allen atemberaubenden Salti und Schrauben nicht aus, zu vergessen, daß das alles einmal irgendwie anrüchig war und gar mit Sex zu tun hatte. Und ein privatfernseh-geschädigter Feierabendmoderator ließ sich so auch nicht neutralisieren. Der versuchte krampfhaft, einen halbvollen, kühlen Raum mit heißer Luft zum Brodeln zu bringen und erreichte am Ende doch nur ein Köcheln. Nicht nur mit der Dekoration, einem geschmacklosen Mix aus Straßenkreuzerbildern, Discoleuchten und Sponsorentafeln, versuchte man, unter einen Hut zu bringen, was nicht zueinander paßt. Die Veranstalter hatten einfach erfolglos versucht, von Uli Hoeneß, Elvis und Turnvater Jahn gleichzeitig zu lernen.

Nicht mal Nostalgie machte sich breit. Kein Erinnern an Motorroller oder Liebesschwüre zu soften Evergreens. Statt alter Scheiben dröhnten digitale 80er-Mutationen des einstmal wilden Beats aus den Boxen: Die Miami Sound Machine oder das stumpfe Musikrecycling von Jive Bunny and the Master Mixers.

Veranstaltungserprobte wie Steuerfachgehilfin Gabi Seemann, 41, vermißten die alten Klänge überhaupt nicht.: „Wieso soll denn das mit der Musik was zu tun haben? Ich hab' einfach Spaß am Tanzen.“ Warum sie dabei war? Gabi ist Mitglied beim Post SV Bremen. Und die Tanzabteilung sind zufällig die Rock'n'Roll Rebels. So kommt man auch ohne Elvis zum Rock'n'Roll. Auch Schülerin Frauke, 17, bedeutet das Erbe des Kings nichts mehr. „Der Beat muß gut sein, dann mag ich's.“ Trotz allen Brimboriums blieb die Schülerin bei ihrem Entschluß, auch bald aktive Rock'n'Roll-Tänzerin zu werden.Für Außenstehende aber hatte der Abend dank einer verlorenen DSF-Kamera bestenfalls den Flair, mal hautnah bei einer TV-Produktion dabei zu sein. Die Kunst, einer Sportart ein modernes Gesicht zu verpassen, sie aufzumotzen und trotzdem nicht lächerlich zu machen, beherrschte niemand. Die tanzenden Paare, um die es eigentlich hätte gehen sollen, verblassten am Rande. Und an den King in seinem Grabe werden auch sie nicht gedacht haben. Wo der mit seinem herzhaften Hüftschwung heute nicht mal mehr in die Vorrunde geklommen wäre.

Lars Reppesgaard