: Posieren für den Zeitgeist
■ Fotografie als Trendsetter und Zeitspiegel: „Bildermoden – Modebilder“, ab heute in der Kunsthalle
Viel nackte Haut und erotische Posen darf man ab heute unter dem unverdächtigen Blick des Kunstliebhabers in der Kunsthalle bewundern. Schließlich geht es in der neuen, vom Institut für Auslandsbeziehungen veranstalteten Ausstellung um „Deutsche Modephotographien von 1945 - 1995“. Und da eine der wesentlichen Antriebsfedern für die Mode und ihre photographische Anpreisung naturgemäß in der erotischen Spannung liegt, wird damit in den heiligen Hallen der hohen Kunst auch nicht gegeizt. Vom nackten, durch ein wehendes Kleid in der Bildmitte hervorgehobenen Po in Jacques Schumachers „Blauer Serie“ bis zu den SM-inspirierten Szenarien eines Horst Wackerbarth reicht hier die Palette.
Daß man in vielen der Exponate den Bezug zur landläufig mit dem Begriff „Mode“ assoziierten Kleidung nur schwer findet, darf dabei nicht verwundern. Denn schließlich ist Modephotographie „nicht nur die Photographie von Klamotten“, wie Kurator F.C. Gundlach, selbst einer der großen deutschen Modephotographen, betont: „Auch die Sicht auf den unbekleideten Körper unterliegt einer Mode“.
Was er damit einfordert, ist ein sehr weit gefaßter Begriff von Mode. „Moden“, definierte er in der gestrigen Pressekonferenz, „sind als Stoff, als Schmuck und als Pose fixierter Zeitgeist.“ Und genau hier wird die Ausstellung spannend. Denn wie der Haupttitel „Bildermode – Modebilder“ andeutet, geht es um ein Doppelphänomen: Modebilder, so Kunsthallen-Direktor Wulf Herzogenrath, sind „total inszenierte Photographien, die aber gleichzeitig als Zeugen für den jeweiligen Zeitgeist stehen“. Und als solche Zeitzeugen prägen die Modebilder eine Bildermode, in der sich das Lebensgefühl der jeweiligen Epoche manifestiert. Der Haken dabei ist nur: Beim Gang durch die Ausstellung läßt sich die Zuordnung, welches Foto in welchem Jahrzehnt aufgenommen wurde, aus den Bildern selber oft nicht herauslesen.
Ohne den Blick auf die kleinen Täfelchen mit der Datumsangabe ist man diesbezüglich aufgeschmissen. Denn die 80er und 90er Jahre spielen an allen Ecken mit Zitaten und Imitationen der 50er, 60er und 70er – nicht nur in der Kleidermode, sondern eben auch im Repertoire der Bildsprache. Zum Beispiel Helmut Newton, der 1979 in einer Bilderserie für die „Deutsche Vogue“ das Lebensgefühl der 50er feiert, oder Rainer Leitzgen, der 1993 die 60er wiederentdeckt und damit – wie die vielen anderen Zitatkünstler – belegt, daß Mode inzwischen die ewige Wiederkehr und beliebige Kombination längst schon dagewesener Trends geworden ist. Aber auch das Umgekehrte läßt sich in der Ausstellung beobachten. Nämlich die Vorwegnahme von Zeitgeist und Stilistik, die sich etwa in Regi Relangs erstaunlich avantgardistischen Bildern „Strandgut“ oder „Hutmodell von Jean Barthet“ von 1952 zeigt, angesichts derer man sich schon weit in den 60ern wähnt.
Was Zeitgebundenheit angeht, herrscht in der Mode(photographie) also ordentlich Verwirrung. Die einzige Konstante in der Entwicklung der Modephotographie sieht F.C. Gundlach denn auch in der permanenten Veränderung. Ein wahrlich philosophisches Urteil nach Art des altgriechischen Denkers Heraklit. Hier aber heißt es nur soviel: Der Weg von den Fünfzigern zu den Neunzigern ist ein Wegbewegen von der Haute Couture über die prét-à-porter Mode bis zur Lifestyle-Photographie von heute, in der statt der Kleidung das Lebensgefühl im Zentrum der Abbildung steht. Logische Konsequenz: Wo sich die Modephotographen früher als bloße Mittler im Interesse der Schneider betätigten, drängen sie heute mit ihrem Kunstanspruch in die Museen. Zu recht, wie die Ausstellung belegt.
Denn jenseits der konventionellen Werbeästhetik finden sich hier echte Beispiele avantgardistischer Stilistik und künstlerischer Provokation. Einen der interessantesten Beiträge liefert dabei die Modezeitschrift „Sibylle“ mit ihrer enorm frischen Ästhetik – ein Glanzstück aus DDR-Zeiten, das inzwischen abgewickelt ist. Moritz Wecker
Eröffnung heute, 18 Uhr; „Bildermoden – Modebilder“ läuft bis 31.12. in der Bremer Kunsthalle
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