: Das gelbe Auge des Diskusfisches
Sie kriegen die Lochkrankheit oder stehen tagelang Kopf. Sie sind eine mindestens so ernste Angelegenheit wie Papas Spielzeugeisenbahn: Zierfische. Einmal im Jahr geht's im Aquarium auf die Messe ■ Aus Duisburg Heide Platen
Bernie P. ist Bergmann gewesen und „frührentnert seit zehn Jahren“. Früher hat er den aus der Not geborenen, klassischen Ruhrpott- Hobbys gefrönt, Tauben gezüchtet „zu Wettbewerben und manchmal auch inne Suppe“, Kaninchen auch, „immä en paar Stück inne Hütte“ . Aber: „Dat paßt dä Mutti nich mää, nich inne Zeit und inne neue Schrankwand auch nich.“ Seither will er Aquarianer werden und guckt sich auf der Fachmesse „Zierfische & Aquarium '95“ um, „wat et so jitt“.
Zwischen Tausenden drängelt und schiebt Bernie P. Anfang Oktober durch die Gänge der Duisburger Mercator-Halle, und da „jitt“ es eine ganze Menge. Entschieden zuviel, findet Frau P. Denn da stehen zur größten, europäischen Aquarienschau Glaskästen, die nun wirklich zu groß sind für das neu angeschaffte Gelsenkirchener Barock. Der flotte Verkäufer preist entspiegelt klares Spezialglas, verarbeitet zu stufenförmig aufgebauten Wasserbassins mit wurzelholzfurniertem Untergestell und ganz neue Beleuchtungseffekten. „Das muß eigentlich“, deklariert er das Riesenteil etwas von oben herab zum Designermöbel in der „Wohnwelt“, „gaanz frei mitten im Raum stehen“. „Wat, inne Wohnstube?“ fragt Frau P. irritiert. „Nää“, sagt sie und zieht ihren Bernie schnell weiter, „nich in unsere“.
Daß Aquarien heutzutage Möbelstücke sind und nicht einfache Rundgläser für den Goldfisch, abzustellen auf dem Vertiko, oder schlichte Wasserbecken, vielleicht noch mit ein bißchen gutisolierter Elektrik für das Verwirbeln von Sauerstoff, weiß auch Norbert Zajac. Der Duisburger Zoohändler richtete die „Megaschau der Aquaristik“ 1993 zum ersten Mal in der Mercator-Halle aus und brach alle Besucherrekorde.
Zajac ist rund, temperamentvoll und überzeugt von der Aquaristik. Er und seine beiden Brüder seien schon als Kinder „tierverrückt“ gewesen: „Papas Aquarium stand in der Küche. Damit bin ich aufgewachsen.“ Es kamen Hamster, Meerschweinchen, Eidechsen, Schildkröten dazu. Mit dem Umzug der Eltern nach Gladbeck in ein eigenes Haus wuchs der Heimzoo. Dort hatte Norbert Zajac schon als Junge eine anerkannte Auffangstation für verletzte Dohlen und Turmfalken: „Leben mit Tieren war bei uns klare Sache.“ Einzige Bedingung: „Wir mußten sie ordentlich versorgen.“ Auf die Fische kam er, als er eine Lieferung Guppys erhielt, die er eigentlich an ein kleines Krokodil verfüttern wollte.
Heute beschäftigt der gelernte Stahlbauschlosser 50 MitarbeiterInnen, dazu Ingenieure, die neue Geräte entwickeln und zwei Biologinnen. Rechtzeitig zur Messe hat seine Firma im Duisburger Zoo ein Korallenriff-Aquarium gesponsert und eingerichtet. Zajac hat festgestellt, daß sich die AquarianerInnen und ihr erst hundert Jahre junges Hobby verändert haben. „Früher“, erinnert er sich, „war das eine Beschäftigung für alte oder alleinstehende Männer.“ Witzblattfiguren eben, die mürrisch nur noch mit dem Goldfisch im Einmachglas redeten oder Methoden der Nachzucht eigenbrötlerisch verheimlichten.
Heute sind die MessebesucherInnen jünger „und interessiert an neuer Technik“. Es kommen auch Paare, denn, weiß Zajak, „die Auswahl des Aquariums ist wie bei den Möbeln oft Frauensache“. Er kennt inzwischen aber auch viele Hobbyistinnen. Zwei Millionen AquarianerInnen, schätzt er, gibt es bundesweit, etwa 25.000 sind im „Verband Deutscher Vereine für Aquarien- und Terrarienkunde“ (VDA) organisiert.
Daß AquarianerInnen weltweit Schuld an der Plünderung von Riffen, Flüssen und Seen seien, will er nicht auf sich sitzenlassen. Heute lasse sich von den 2.000 im Handel befindlichen Arten „fast jede nachzüchten“. Da sei es Unsinn, für hier gezogene Tiere, die aber unter das Artenschutzabkommen fallen, Cites-Papiere zu verlangen oder die Haltung zu verbieten: „Der Behördenkram verdirbt den Spaß an der Art.“
Moderne Technik und Wasseranalyse ermöglichen es auch, empfindliche und seltene Korallenarten zu vermehren. Außerdem sei es „grober Unfug“, hier Papiere zu verlangen für Tiere, die in den Nachbarländern Holland und Belgien problemlos zu erstehen seien.
Ohnehin könne kaum jemand ein Meerwasseraquarium einrichten. Es braucht zuviel Platz, zu kompliziert ist die Haltung der teuren Fische und empfindlichen Korallen, die Zusammensetzung und Temperierung des Wassers. Die meisten HobbyistInnen haben sich deshalb auf aus Asien, Afrika und Südamerika importierte oder hier nachgezogene Süßwasserarten spezialisiert. Die kommen zum Beispiel aus dem Malawi- oder Tanganjikasee in Afrika. Sie werden, wie alle Zierfische, nicht gehalten sondern „gehältert“.
Die „Krönung“ der Aquaristik jedoch ist der Diskusfisch (Symphysodon) aus der Familie der Buntbarsche. Der schwimmt massenhaft in der Mercator-Halle, Züchter bieten ihn zum Verkauf an und sind außerdem zum Championat angetreten. Allenthalben glotzen die handtellergroßen Viecher aus stoisch gelben Augen durch die Beckenwände. Sie sind wundersam grün, lila, blauschillernd gestreift, vorwiegend längs, mäandernd von den Rändern her. Die meiste Zeit stehen sie im Schwarm dekorativ still, machen manchmal, unisono fischiges Ballett, eine ruckartige Kehrtwendung und wirken viel zu groß für die kleinen Bassins. Der Diskusfisch, lernt die Laiin, bekam diese attraktiven Farben erst durch die Nachzucht, die unausweichlich Form, Farbe und Gesamtbild kontrolliert. Die gewöhnlichen, wilden Artgenossen schwimmen im Amazonasbecken, werden dort gefangen, in riesigen Fischfarmen, vor allem in Manaus, gehalten, verpackt und in alle Welt versandt.
Bernd Degen, Fischbuchautor und -verleger, trägt eine Fischkrawatte. Er schwärmt während seines Diavortrages von den Diskus-Wildfängen. Die sind, auch Fische sind der Mode unterworfen, in Deutschland aus derselben gekommen. Er ist mehrmals am Amazonas gewesen und hat mit wahrer Sammlerwut und Akribie eine Fischfarm nach Fehlfarben und Unterarten durchstöbert. Außerdem findet er die roten Augen der Wildlinge „viel explosiver“ als die gelben Glotzer der Zuchtformen. Am Amazonas, erfahren die Zuhörer außerdem von ihm, „stehen sehr viele Bäume“. Und „die Leute“, die dort im Regenwald leben, „nehmen es locker. Was sollen sie auch machen im Dschungel?“ Etwas faul und schlampig seien sie, eruierte der Fischexperte vor Ort, und das sei, meint er, „eben die brasilianische Mentalität“.
Sinn und Wahnsinn der Aquarien ist jedenfalls nicht der beruhigende Anblick sich sanft zwischen Pflanzen wiegender Fische – Pausenbild zwischen den Fernsehprogrammen oder auf dem Computerbildschirm. Die Südseeoase daheim ist Streß und eine so ernste Angelegenheit wie Papas elektrische Eisenbahn.
Fische spielen eine Nebenrolle, wenn es um Pumpen, Wasseranalyse, Reagenzgläser, Computersteuerung, Blasenzähler, Eiweißabschäumer und Diffusionsspiralen geht. Und Fische kriegen jede Menge Krankheiten. Ein Motorradfreak entpuppt sich als besorgter Aquarianer, der dringend Rat braucht: Sein einer Diskusfisch hat die Lochkrankheit, der andere steht schon seit zwei Tagen auf dem Kopf. Da bricht Panik aus: „Das ist ansteckend!“ Antibiotika müssen her, „am besten mal einen befreundeten Hausarzt fragen“. Der Gebrechen gibt es viele, von Flossenfäule bis Bauchwassersucht. Dazu kommen Parasiten, Pilze, Viren, Würmer, die alle bekämpft sein wollen.
Währenddessen streiten sich Naturschützer mit Werner Büngener am Stand des „Bundesverbandes für fachgerechten Natur- und Artenschutz“ (BNA). Büngener schimpft auf die Grünen. Fachgerechte Zucht, findet er, sei „auch Artenschutz“. Die Feinde sieht er, wie viele Aquarianer, anderswo. Abholzung der Regenwälder, Wasserverschmutzung, Industrie, Tourismus, all dies sei viel gefährlicher als, selbstverständlich, „verantwortungsvolle Hobbyisten“. Seine KontrahentInnen indes ereifern sich, schon der Name seines Verbandes, „an dessen Gründung Aquarianer maßgeblich beteiligt waren“, könne nur „als grobe Polemik aufgefaßt“ werden.
Am Rande kaufen zwei Jungen kleine Guppys. Der ältere Bruder bezahlt die in eine Plastiktüte abgefüllten Tierchen. Die Sache sei ganz einfach, erklären sie. Der eine hat ein Aquarium, der andere einen dicken, grauen Kater. Und der mag Fische. Immer, wenn sich das Katzentier wieder einmal aus dem Bassin bedient hat, muß der Fang vom Taschengeld ersetzt werden.
Unterdessen hat sich auch Familie P. auf ein Aquarium geeinigt. Nun geht es um die Fische. „Papa“, mahnt sie, „muß abä nich so jroße nähm.“
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