piwik no script img

Wer petzt, fliegt raus

■ Im Skandalfall will niemand was gewußt haben. Doch sogenannte „Nestbeschmutzer“ werden abserviert. Zwei Fälle

Beliebte Ausrede der Verantwortlichen im Skandalfall: Wir haben von nix gewußt. „Eltern und Athleten haben eine Bringschuld. Es kann nicht sein, daß wir auch für das verantwortlich gemacht werden, was wir nicht wissen konnten. Weil man es uns nicht mitgeteilt hat“, erklärte sich der im Fajfr-Prozeß mitangeklagte Eislauffunktionär Michael Föll.

Ein Fall aus der Welt des Turnens zeigt, was passieren kann, wenn diese Bringschuld gebracht wird: Astrid Kurz, am 12. September 92 noch Kunstturnwartin des Landesverbandes Mittelrhein, bat in einem persönlichen Schreiben den Stützpunkttrainer Ralf Blömeke unmißverständlich, er möge „den engen körperlichen Kontakt mit den Mädchen“ unterlassen. Zwölf Tage später bekam sie Antwort – nicht vom „lieben Ralf“, sondern aus der Turn- Geschäftsführung. Sie möge Details nennen, ihre Vorwürfe konkretisieren. Astrid Kurz schrieb sechs DIN- A4-Seiten voll, schickte sie an die Chefetage und bekam von dort am 5. Dezember den Eingang ihres Schreibens bestätigt – samt Mitteilung, sie möge jetzt endlich Ruhe geben. Zitat: „...bevor unser Sport ... in Verruf gerät“. Als sie das nicht tat, wurde sie zum Rücktritt aufgefordert, später dann aussortiert: Hallenverbot am Landesstützpunkt Koblenz. Trainer Blömeke durfte dort unbehelligt weitermachen wie bisher.

Knapp ein Jahr später war auch Ralf Blömeke nicht mehr da: Er saß in U-Haft. Grund: sexueller Mißbrauch von Schutzbefohlenen. Nicht der Turnverband Mittelrhein hatte Blömeke bei der Staatsanwaltschaft angezeigt, sondern Eltern eines (nicht belästigten) Turnkindes. Blömeke legte wenig später ein Geständnis ab und gab zu, sich an sechs Mädchen, darunter fünf unter 16 Jahren, sexuell vergangen zu haben.

Astrid Kurz hat bis zum heutigen Tag Hallenverbot in Koblenz – die Funktionäre von damals sind noch immer in ihren Ämtern. Darunter zwei politische Hochkaräter: Gernot Mittler ist Finanzminister von Rheinland-Pfalz, Wolfgang Gipp Bürgermeister der Stadt Boppard. Sauber(e) Männer.

Ein weiteres aktuelles Beispiel: Die in Baden-Württemberg vom Landessportverband (LSV) angestellten Trainer fürchteten durch den Fajfr-Skandal um ihren Ruf, arbeiteten einen sich „Ehrenkodex“ nennenden Verhaltenskatalog aus. Der sollte den gültigen Arbeitsverträgen beigelegt werden. Die Landestrainer wollten damit das Ausmisten im eigenen Stall erleichtern. Doch da spielte das LSV-Präsidium nicht mit, lehnte einen Ehrenkodex ab. Frustrierter Kommentar eines LSV-Bediensteten: „Die Herren Oberfunktionäre wollen einfach nicht wahrhaben, daß es auch im Sport Leute gibt, die Dreck am Stecken haben und die man aussortieren muß.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen