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Kohls energisches Kinn und Scharpings männlicher Bart

■ Schon Goethe hat es gewußt: Was drinnen ist, ist auch außen. Ein Experte enthüllt die Körpersprache und gibt Politikern gute Tips

Ministerialrat Walther Keim, 60, arbeitet im Bundeshaus als Leiter der Pressedokumentation. Er versorgt die Abgeordneten mit Presseausschnitten. Nebenberuflich doziert der Politologieprofessor an der Universität Münster über das Thema „Politik und Körpersprache“. Seine Klientel beobachtet er seit 30 Jahren im Bundestag.

taz: Ihre Beobachtungen der Körperhaltungen lesen sich trivial: „Scharping geht, Kohl schreitet. Schon seine weit ausholenden Schritte sagen, daß sich Kohl durch nichts vom Kurs abbringen läßt.“ Ist das Wissenschaft?

Walther Keim: In den USA ist die nonverbale Kommunikationsforschung sehr viel weiter als hier. Ich kämpfe dafür, daß wir mit den Augen lesen lernen. Gut die Hälfte aller Informationen werden durch Körpersprache vermittelt: Minenspiel, Gestik, Haltung, Kleidung, Parfüm – das gehört alles dazu. Wir lernen Fremdsprachen mit viel Aufwand, aber verstehen kaum mehr als den erhobenen Zeigefinder, das Naserümpfen und die hochgezogene Augenbraue.

Also was hat Kohl noch, was Scharping fehlt, um ein Publikumsliebling zu werden?

Helmut Kohl hat ein breiteres Kinn als Rudolf Scharping, ein Zeichen für erhebliche Energie. Deswegen haben sich Scharpings Berater im Wahlkampf so intensiv mit der Frage beschäftigt: Bart ab oder nicht? Es geht um die Frage der Männlichkeit. Und Scharping gewinnt an Männlichkeit durch den Bart.

Und so macht er Kohls ausladendes Kinn wett?

Der Bart produziert körpersprachlich aber auch mehr Abstand. Die Körpersprache trägt die Beziehungsebene. Und immer überlagert sie die Inhaltsebene. Die Gesichtszüge eines Menschen verraten individuell, nicht im Sinne eines Rassengedankens, viele genetische Vorgaben, und da ganz besonders für Verstandes- und Gefühlsanteile. Scharpings Körper verrät, daß er ein Schnelldenker ist, aber kein Mensch von langfristigen Strategien.

Woran erkennen Sie das?

Er macht kurze, bedächtige Schritte. Seine hohe, breite und makellose Stirn verrät den Scharfsinn. Aber seine gebremsten Gesten beim Reden zeigen, daß er für langfristige Strategien ungeeignet ist. Er macht immer beides: aufs Gas treten und gleichzeitig bremsen. Und er gibt zu schnell nach, wenn der Wind von vorne bläst. Dann kriegt er einen nach vorn gebeugten Rücken.

Eine situative Interpretation!

Nein, anhand von vielen Videobändern. Vor vier Jahren ging Scharping noch nicht so bedächtig. Eigentlich ist er ein sensibler, offener Charakter. Seine bittenden Augen sagen: Merkt ihr denn nicht, daß ich eine gute Politik mache? Aber die Haltung ist viel zu bedächtig. Dagegen steht der Machtmensch Kohl, der das alles körpersprachlich voll rüberbringt. Wie Goethe sagte: Was drinnen ist, ist auch außen.

Was raten Sie Scharping?

Einen Meter Abstand vom Rednerpult, um Platz für Gesten zu haben. Er sollte mal die Faust ballen, damit seine Oppositionsrolle kräftiger rüberkommt.

Scharping ist bestimmt umgeben von Psychologen, die Hinweise auf die Korrektur der Körperhaltung geben.

Das nützt nichts. Er kann sich ein paar Minuten lang am Riemen reißen. Wenn er aber mit verschränkten Armen und quergelegtem Bein in seinem Stuhl sitzt, macht er sich zu. Der Körper spricht, auch wenn wir schweigen. Man kann sich das nicht abtrainieren, höchstens Details ändern.

Diese Sitzhaltung kann doch einfach nur bequem sein.

Aber es ist eine Laß-mich-in Ruhe-Haltung. Die mag ja sehr bequem sein. Achten Sie mal darauf, wie oft Joschka Fischer auf seinem Abgeordnetensessel hin- und herrutscht. Das zeigt volle geistige Mobilität. Der geht mit den Reden der anderen mit und liest offenbar auch unbewußt in ihrer Körpersprache wie in einem Buch. So gewinnt er emotionale Nähe zu den anderen.

Werden Politiker nach den Emotionen, die sie auslösen, gewählt?

Churchill motivierte im Zweiten Weltkrieg den Siegeswillen der Engländer mit dem Victory-Zeichen, Willy Brandts Kniefall in Warschau brachte der SPD noch Jahre später die Wähler. Der Politiker, der Körpersprache zu entschlüsseln versteht, dem öffnen sich direkte Wege zu den anderen.

Und ihre Sprechblasen lösen sich in Luft auf?

Zuerst müßten Politiker natürlich wieder eine verbindende Sprache finden. Was viele von sich geben, sind einfache Glaubenssätze. Kaum einer gestikuliert mit offenen, nach oben gehobenen Händen, schaut neugierig in die Runde. Aber das sind die Körpersignale für einen selbstsicher vorgetragenen Standpunkt. Nur wenige Politker gehen als Individuum ans Rednerpult, die meisten vertreten nur diffuse Gruppenmeinungen. Und das zeigt sich in ihrer laschen Körperhaltung. Interview: Annette Rogalla

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