■ Gaddafi schickt palästinensische Boat people aufs Meer: Das UN-Embargo überdenken
Die Wahl der Waffe ist perfide: Weil Muammar al- Gaddafi gegen das über Libyen verhängte UN-Embargo protestieren will, treiben palästinensische Boat people im Mittelmeer. Der beinahe in Vergessenheit geratene Revolutionsführer demonstriert, daß er, um auf sich aufmerksam zu machen, keine Giftgasfabriken oder Raketen braucht. Als Kampfmittel reichen ihm menschliche Schicksale.
Schnelle Hilfe tut not. Die Nahrungsmittel auf dem Schiff sollen für maximal 15 Tage reichen, unter den de facto zu Geiseln gemachten PalästinenserInnen sind auch Säuglinge. Doch Gaddafi hat bereits kundgetan, daß das Problem mit einer internationalen Hilfsaktion für die 650 Menschen vor Zypern nicht gelöst sein wird. Bis zu eine Million AusländerInnen will er aus seiner „Großartigen Volksdschamhariya“ hinauswerfen – PalästinenserInnen, ÄgypterInnen, SudanesInnen und Tausende andere SchwarzafrikanerInnen. Da es für die meisten von ihnen in der Heimat weder Arbeit noch ausreichend Essen gibt, droht eine humanitäre Katastrophe. Bei dieser Aussicht wird die Weltgemeinschaft nicht umhin kommen, Gaddafis Forderung nach einer Aufhebung des Embargos zumindest zu überdenken.
Man sei doch nicht erpreßbar, werden Gaddafis Gegner protestieren, allen voran die US-Regierung. Dem Libyer müsse die Stirn geboten werden, auch wenn dafür einige Tausend Menschen im Mittelmeer treiben. – Wahrscheinlich werden sich die Embargoverfechter durchsetzen, zu hoffen ist es jedoch nicht. Denn bei Licht betrachtet ist das gegen Libyen verhängte UNO-Embargo ziemlich sinnlos. Die Sanktionen beschränken sich im wesentlichen auf den Lufverkehr, Militaria und Dinge, die im weitesten Sinne militärisch nutzbar sein könnten. Daß eine Auslieferung der angeblichen Lockerbie-Attentäter so nicht zu erzwingen ist, haben die zurückliegenden drei Jahre gezeigt. Eine Ausweitung der Sanktionen ist jedoch nicht durchsetzbar, vor allem weil Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien nicht auf das hochwertige libysche Öl verzichten wollen.
Angesichts dieser Konstellation hatte man sich bei der UNO stillschweigend darauf eingestellt, das Embargo in seiner jetzigen Form bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag aufrechtzuerhalten – sprich: bis zum Sturz oder/und Ableben Gaddafis. Daß der sich mit einer solchen Perspektive nicht abfinden würde, war eigentlich vorauszusehen. Thomas Dreger
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