: Wie viele Kröten schlucken die Bündnisgrünen?
■ Die Spielräume für Rot-Grün sind kaum größer als die der Großen Koalition
„Der tiefe Fall der Hauptstadt- SPD“, sinniert der bündnisgrüne Fraktionsvorsitzende Wolfgang Wieland, „zieht uns mit nach unten.“ Kurz vor der Wahl bleibt so nur die Hoffnung, es könne sich die Überraschung von 1989 wiederholen. Damals hatte die BerlinerInnen entgegen aller Prognosen die CDU abgewählt und Rot-Grün die Tür ins Rathaus geöffnet.
Trotz der Stimmungstiefs haben die Bündnisgrünen vorgesorgt. Drei Mitglieder der Verhandlungsdelegation stehen fest, einer davon ist Christian Ströbele. Das frisch gekürte Mitglied im Landesvorstand der Partei bastelte bereits vor sechs Jahren mit den Sozialdemokraten am Koalitionsvertrag. Doch nicht nur die Haare des Rechtsanwalts sind mit den Jahren grauer geworden, auch seine Partei wurde gelassener. Vorbedingungen wie einst 1989? Das Wort wurde peinlichst vermieden. „Alles“, sagt heute Fraktionschef Wieland, „ist verhandelbar.“ Ein Satz, der manche grüne Seele aufschrecken lassen dürfte. Denn gegen was hat die Partei in den letzten fünf Jahren eigentlich nicht gewettert?
Großprojekte wie der Tiergartentunnel im Regierungsviertel seien unsinnig, teuer und umweltfeindlich. Dies schuf Erwartungen, die ebenso schnell enttäuscht werden könnten. Doch Stratege Wieland sieht für den Fall der Fälle seinen Weg bereits klar vor sich: Die strittigen Punkte werden zum Schluß verhandelt, jede Seite müßte schließlich wohl einen schweren Brocken schlucken.
Dies lädt zu allerlei Spekulationen ein. Lassen die Grünen die Forderung nach einem Baustopp für den Tiergartentunnel fallen, wenn die SPD dafür auf den Großflughafen in Brandenburg, verzichtet? Bei solchen Fragen schmunzelt Politfuchs Ströbele. Er könne sich nicht vorstellen, daß ein grüner Verkehrssenator „das Band zur Eröffnung (des Tunneln) durchschneidet“.
Es ist nicht nur die fehlende Stimmung für Rot-Grün, sondern auch die mangelnde Schärfe, die das Projekt so diffus erscheinen läßt. Der Spielraum wäre ohnehin begrenzt. Viele Bauvorhaben müßten als Hinterlassenschaft der Großen Koalition mitgetragen werden. Manches, wie etwa der Großflughafen Sperenberg, könnte sich mangels Geld von selbst erledigen. Bei der Länderfusion aber, über die im Mai die Bevölkerung von Berlin und Brandenburg abstimmen soll, wäre es fast einerlei, ob sie von Rot-Grün oder der Großen Koalition umgesetzt wird. Wesentliche Eckdaten wurden von SPD und CDU mit der Brandenburger Seite im Staatsvertrag bereits festgelegt – dem Dokument stimmten in diesem Frühjahr alle Parteien mit Ausnahme der PDS zu.
Eines der konfliktreichsten Felder für einen rot-grünen Senat dürfte dagegen die Sanierung des desaströsen Haushalts sein. Schon jetzt ist klar, daß der Schuldenberg in den nächsten vier Jahren um vier Milliarden verringert werden muß. Einen Einschnitt, vor dem sich CDU und SPD bislang herumdrückten. In schönster Eintracht betrieben sie lieber klassischen Klientelismus. Die Bündnisgrünen warten hier mit Konzepten auf, die dem früheren SPD-Regierenden Walter Momper die polemische Bemerkung entlockte, diese erinnerte ihn an die FDP. Die FAZ, den Bündnisgrünen nicht gerade zugeneigt, verglich die Vorschläge gar respektvoll mit denen der neoliberalen Maggie Thatcher. Severin Weiland, Berlin
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