Sanssouci: Vorschlag
■ Eine Woche „Jazz at the Club“ im Quasimodo
James Carter Foto: Detlev Schilke
Die konservativen Kulturrevolutionäre in Sachen Jazz und Black Culture haben anscheinend arge Probleme mit ihrer Verdauung, witzelte Herbie Hancock vor kurzem erst, Outfit und Output eines Stanley Creuch im Sinn. Mal tief durchatmen und etwas Dampf ablassen täte denen gewiß ganz gut. Wenn sie jedoch um das Line-up des Quasimodo-All-Star-Programms „Jazz at the Club“ in dieser Woche wüßten, dann müßte ihnen eigentlich der Kollaps drohen. Der neue Hauptfeind ist dabei längst ausgemacht: das weiße Jazz-Establishment, das sich für keinen Talk zu schade ist, gern über Musik soziologisiert, jedoch nichts davon versteht und die von ihm favorisierten Negermusikanten, die bloß die europäische – sprich weiße – Moderne kopieren, sich ihre Gesichter anmalen, Kostüme überwerfen, von Afrika und Rebellion schwätzen und auf afroamerikanische Avantgarde machen, Leute also, die keinen Jazz spielen können, die nie Jazz spielen konnten.
Diese Bedingungen erfüllt heute kein Ensemble der Jazz-or- not-Jazz-Geschichte besser als das Art Ensemble of Chicago (24.10.), das „Great Black Music“-Kollektiv im dreißigsten Jahr. Aus ihrer Perspektive liest sich das so: „The band which has given a new and totally musical significance to the term Black Power salutes the African drum.“ Wenn die Frage auf Wynton Marsalis und die New Yorker „Jazz Mafia“ kommt, dann posiert der Trompeter und PR-Sprecher des Art Ensembles, Lester Bowie, cool in der Rolle des hippen Großvaters, und genüßlich an einer Havanna ziehend, erwähnt er gelassen die Dinge, die den jungen Neotraditionalisten total abgehen. Daß die „wahre“ Tradition des Jazz die Rebellion sei und daß der Jazz sich noch im Experimentierstadium befinde, viel zu jung, um in irgendwelchen High- Brow-Tempeln dahinzusauern. Gerade hatte sein jüngstes Projekt, „Lester Bowie's HipHop Feelharmonic“, in New York Premiere, und schon ist er bereits wieder mit dem neuesten Art-Ensemble-Programm mit fünf African-drum-Spielern auf Tour.
Das langjährige Art-Ensemble-Mitglied, Multiinstrumentalist Joseph Jarmann, Jahrgang 1937, ist kürzlich ausgestiegen, um sein Leben als buddhistischer Mönch fortzusetzen. Die Stelle ist noch vakant. Im Gespräch dafür war bereits der 25jährige James Carter (25.10.), Multibläser aus dem Netzwerk seines Mentors Bowie, der in Carter vor Jahren schon „die Zukunft des Jazz“ verkörpert sah. Die Kritiker der amerikanischen Zeitschrift down beat wählten Carter gerade zum Nachwuchs-Jazzer des Jahres 1995, und die Jury der Deutschen Schallplattenkritik verlieh Carter den Jahrespreis 1995 in Sachen Jazz für seine zweite CD, „Jurassic Classic“ (Sony). Noch etwas dicker sahnte kürzlich der 42jährige Saxophonist Joe Lovano (28.10.) ab. Die down beat-Kritiker wählten ihn nicht nur zum „Jazz Artist of the Year“, sondern seine aktuelle CD „Rush Hour“ (Blue Note) zudem noch zum „Jazz Album of the Year“. So kann es kommen.
Wenn Sie zudem noch das erste HipHop-Projekt eines Jazzers erleben möchten, das mit Jazz nicht die Bohne zu tun haben soll, dann sind Sie bei Gary Thomas (26.10.) richtig, der auf seiner diesen Monat veröffentlichten CD „Overkill“ (KMT/Motor Music) den sozialen Kommentar zum Stand der Black Culture in seiner Heimatstadt Baltimore rappt. Und schließlich gibt es dann noch die „Jazz At The Club“-Schiene der Fusion-bis-Noise-Gitarrieros, mit John Abercrombie (heute), Hiram Bullock (27.10.) und Arto Lindsay (29.10.). Lester Bowie dazu: „That all depends on what you know, heh, heh, heh“. Jedenfalls: Clubben Sie nett, und denken Sie daran, wenn alles vorbei ist, geht's schon bald wieder weiter: Der Godfather hat sich für den 1.11. angekündigt, um das Jazz-Fest zu eröffnen. Aber darüber sprechen wir dann noch. Christian Broecking
Heute bis 29. 10., jeweils 22 Uhr, Quasimodo, Kantstraße 12a, Charlottenburg
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